Kunstgeschichte in ihrer Zeit

Hans Sedlmayr


1. Orientarmee
2. Zwischen den Kriegen
3. Große Zeit
4. Gewinn durch Verlust
Der österreichische Kunsthistoriker Hans Sedlmayr wird als Sohn des Dr. h.c. Ernst Conrad Sedlmayr am 18. 1. 1896 in Szasokö im Komitat Sopron in Ungarn geboren. Der Vater ist für sieben Jahre lang Zentralgüterdirektor der Gräflich Mailathschen Domäne1, später Hofrat und Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule für Bodenkultur in Wien. Der Geburtsort heißt heute Hornstein und liegt im Burgenland in der Nähe von Oedenburg an der österreichisch-ungarischen Grenze. Dort und - ab 1900 - in Dolnji Miholjac an der unteren Drau verbringt der Junge die ersten zehn Jahre seines Lebens. Man lebt herrschaftlich, führt ein Leben unter Fremden. „Dieses ,wir und sie‘“2 wird zum ersten Mal auf dem riesigen Gutsbesitz in Slawonien empfunden. „Unsere Dienstmädeln“3 stehen zur Verfügung. Der livrierte Diener des Herrn Grafen überbringt ein paar Fasane von der Jagd. Kutschfahrten führen nach Fünfkirchen oder Mohacs. 4 Der Junge absolviert die Volksschule privat. Er fühlt, „daß eine neue Zeit kommt und daß wir nicht mehr lange in Miholjac sein werden.“ 5
 
Hans lernt in der häuslichen Umgebung, das Beste an eines Mannes Besitz seien „ die Gewehre und die Sättel.“6 Er spielt mit Bleisoldaten 7, die für ihn „das Urbild des Militärischen“8 verkörpern. Bleisoldaten sind besser, als solche aus Holz, Zinn, oder Pappe. Bei ihnen findet er die in seiner Familie angestrebten „Ideale des wirklichen Soldatentums : Gleichmäßigkeit und Glanz der Uniformen, die Genauigkeit ihrer Haltungen, das untadelige ihrer Paraden und Defilierungen.“ Noch als Achtundvierzigjähriger, der an der Ostfront im Felde steht, schreibt er, diese Eigenschaften seien den kleinen Bleifigürchen „angeboren“.9 Er träumt nachts vom Kampf Prinz Eugens gegen die Janitscharen „ Denn d e r Feind, der eigentliche Feind sind die Türken, und der Marsch aller Märsche ist das Lied vom Prinz Eugen.“10
 
Noch in der Phantasie des erwachsenen Mannes erwacht diese große Armee „zu neuen Taten und steigt aus den Grüften empor, 'den Kaiser, den Kaiser zu schützen'“.11 Unter dem Kriegsspielzeug des Buben Hans finden sich „vier Batterien Artillerie, die Rohre aus mattgoldener Bronze, die Fahrkanoniere mit den kurzen Peitschen in der Hand.“ In der Erinnerung wird sein Gemüt von der gleichen sonderbaren Erregung ergriffen, „die im Schlagen einer Trommel und im scharfen Schall der Trompete ruft.“ Die Schlacht zwischen den aus Blei gegossenen Russen und Japanern ist in der wehmütigen Rückschau „zum Rand voll mit Kampf“. Die Faszination des martialischen Schauspiels ist ungebrochen : „Die Soldaten waren erstarrt im Kampf, sie kannten nur die Schlacht.“12
 
Die Berufung des Vaters in die Hauptstadt 1907 ermöglicht dem Sohn den Besuch des Staatsgymnasiums in Wien-Döbling, wo er 1915 die Kriegsmatura ablegt. Am 27.2.1915 verpflichtet sich Sedlmayr als Einjährig Freiwilliger auf eigene Kosten zur Ersatzbatterie des Feldkanonenregimentes Nr. 6 in Wiener Neustadt auf ein Jahr im Prüfungsdienst und elf Jahre in Reserve. Während dem Defiliermarsch seiner Truppe, der Artillerie erinnert er sich seiner geliebten Spielzeugkanonen und beschließt bei seinen Klängen, als Zugsführer des ersten Zuges der ersten Batterie seines Regimentes nach dem siegreichen Frieden in Wien einzuziehen.13 Im März wird er zur aktiven Dienstleistung präsentiert und zum Kanonier befördert. Im August avanciert er wunschgemäß zum Korporal als Zugsführer. Im Februar des nächsten Jahres wird er zum Kadetten, im März zum Fähnrich der Reserve ernannt. Im August wird ihm die bronzene, im September die silberne Tapferkeitsmedaille für hervorragendes Verhalten vor dem Feinde verliehen.
 
Er ist seit dem 1. November 1915 ununterbrochen im Felde. Er kämpft in Wolhynien und Galizien.14 Er lernt Wilhelm Pinders Werk über den deutschen Barock „im Schützengraben des Ersten Weltkriegs“ kennen. 15 Im Gefechte bei Tarnawka hat er als Aufklärer rechtzeitig auf feindliche Kosakenabteilungen hingewiesen und nach der Abwehr ihres Angriffes zwei Kilometer vor der eigenen Front aufgeklärt. Als Artilleriebeobachter hat er die Wirkung der eigenen Geschütze zu beobachten und die Richtigkeit der gewählten Schußbahnen zu überprüfen.16 Bei Lahadow im feindlichen Trommelfeuer, im dichtesten Beschusse, während mehrere Brände lodern, veranlasst er als Verbindungsoffizier zwischen einer Infanteriebrigade und der Artillerie „die dringendst benötigte Artilleriewirkung“. Er durchschreitet die Kernzone des Sperrfeuers, läuft durch einen schwer beschossenen Wald und erfüllt in hervorragend tapferer Art seine Aufgabe.
 
Sedlmayr wird im Januar 1917 als Reserveleutnant zum Divisionsstab versetzt. Er erhält im März den Marschbefehl nach Konstantinopel. Die Türkei stellt ein Aufmarschgebiet dar, in dem versucht werden soll, England in Mesopotamien und Ägypten zu bedrohen. Man will starke feindliche Kräfte binden. Man hofft, durch die Türkei die mohammedanische Welt zum „heiligen Krieg“ gegen das britische Weltreich bewegen zu können. Schon zu Beginn des Jahres 1916 wird ein Vorstoß gegen den Suez-Kanal erwogen. Durch eine rasche, handstreichartige Unternehmung will man sich in den vorübergehenden Besitz eines Kanalübergangs setzen und diesen solange halten, bis es gelungen ist, den Kanal durch einen Damm aus Sandsäcken nachhaltig zu sperren. Man glaubt, die Sandsäcke könnten nicht durch Baggermaschinen entfernt werden, sondern müßten einzeln gefischt und herausgezogen werden.



Transport eines Pontonbootes durch Jerusalem
 

Aus den k.u.k. Gebirgsartillerieregimentern No. 4 und 6 wird für den aktiven Kampfeinsatz in Palästina und an der Suez-Kanal Front eine Gebirgshaubitzdivision, nach ihrem Kommandanten, Major Adolf Marno von Eichenhorst benannt, die "k.u.k. Gebirgshaubitzdivision v. Marno", gebildet, die ab dem Sommer 1916 bis zum Kriegsende 1918 sämtliche Kämpfe in Palästina mitmacht. 17 18 Großes Augenmerk wird auf die moralische Haltung und Erscheinung der Elitetruppe gelegt. Man muß annehmen, daß alle Formationen unter Umständen für längere Zeit,völlig auf sich allein gestellt sind. Deshalb wird eine strenge Auswahl getroffen. Offiziere müssen neben den im Dienst gebräuchlichen Sprachen mindestens französisch in Wort und Schrift beherrschen. Man versucht "innere" Ablehnungsgründe für einen derart exotischen Einsatz zu ermitteln. „Letztlich trachtet man, daß Abenteuernaturen, die sich nur schlecht in das Gefüge einer geschlossenen Gruppe einzufügen verstehen, trotz eventueller freiwilliger Meldungen unberücksichtigt blieben.“19

Mit seinem vierundzwanzig Jahre älteren Offiziersdiener reist der Artillerist Sedlmayr mit dem Balkanzug in die Türkei. Zur Österreichischen Orientarmee abkommandiert, macht er die Bekanntschaft mit den historischen Baudenkmälern der Levante.20 Er sieht die große byzantinische Architektur Konstantinopels. Die Residenzstadt kündet von ihrer höchsten Blüte, die sie unter Justinian erlebte. Er ließ die bei einem Aufstand großenteils eingeäscherte Metropole glänzend wiederherstellen und an der Stelle der Basilika Konstantins die Sophienkirche erbauen. Der Prachtbau zeugt von der Absicht, alle Bauten des Altertums zu übertreffen. Zahlreiche Säulen aus alten Tempeln Kleinasiens, Griechenlands und Italiens wurden herbeigebracht und die edelsten Marmorsorten und Metalle verwandt. Aus der spätgriechischen und römischen Kultur erwächst die byzantinische. Weitere prägende Erlebnisse sind die Begegnung mit der antiken und islamischen Baukunst in Syrien und Palästina, in Damaskus und Jerusalem. Sedlmayr beschließt Architekt zu werden.



Umschlagillustration einer Kunstdruckmappe des k.k. Kriegsfürsorgeamtes

Zahlreiche türkische, deutsche und österreichisch - ungarische Offiziere und Mannschaften erkranken und müssen zur Genesung in das Innere des Landes geschickt werden. 21 Sedlmayr infiziert sich an Gelbsucht und Malaria, verbringt längere Zeit im Lazarett in Damaskus. Die Stadt ist Knotenpunkt mehrerer Handelswege nach Aleppo, Bagdad, Beirut, und Haifa. Sie liegt anmutig am Fuß des Antilibanon inmitten ausgedehnter Gartenhaine, die vom Nahr Baradá mit seinen sieben Armen und zahllosen Kanälen bewässert werden. Sie sind reich an Getreide, Gemüse und Obst und reichen sich weit bis an den Rand der Syrischen Wüste. „Dem Araber, der sich nach dem Koran das Paradies als Obstgarten vorstellt, erschien die Umgebung von Damaskus seit alters als ein Abglanz des Paradieses.“22 Damaskus erlebt seine Blüte als Residenz des omayyadischen Reiches in der Zeit von 661 bis 750. Ein Zeuge dieser Zeit ist die sogenannte Omayyaden-Moschee. Sie wurde auf dem Gelände eines römischen Jupitertempels, der im vierten Jahrhundert einer christlichen Johanneskirche gewichen war, errichtet. Kaiser Theodosius I. ließ sie als dreischiffige Säulenbasilika anlegen. Dreihundert Jahre später erfolgte unter dem Kalifen Welid der Umbau zur heutigen Moschee. Der sogenannte Triumphbogen am Eingang gehörte zur Säulenhalle des antiken Tempels. Der große rechteckige Moscheehof wird an drei Seiten von zweigeschossigen Arkaden byzantinischen Stils umgeben. Das Innere der Moschee bildet ein gestrecktes Rechteck mit drei Langschiffen, die von zwei Reihen korinthischer Säulen geschieden werden. Es zeigt noch die Form der altchristlichen Basilika. In der Mitte das Querschiff mit der 'Adlerkuppel', die auf einem achteckigen Unterbau ruht. Das marmorne Kuppelgebäude im östlichen mittleren Langschiff steht über dem Haupt Johannes' des Täufers. Das nahe gelegene Nationalmuseum birgt bedeutende Grabungsfunde altorientalischer, antiker, byzantinischer und islamischer Kunst.



In der ersten Hälfte des Jahres 1917 wird in Damaskus eine „Planaufnahme“ durchgeführt. Im Auftrag der Etappenleitung wird zuerst die islamische Altstadt systematisch von deutschem Militär vermessen.23 Vom Oktober bis zum Juni 1918 werden die Denkmäler und Baureste der griechisch-römischen und byzantinischen Stadt kartographisch erfaßt. Unter der lebendigen orientalischen Stadt sollen die Überreste einer großen abendländischen Vergangenheit aufgespürt und nachgewiesen werden. 24 Neben zeichnerischen und farbigen Skizzen werden hunderte von Fotografien und Panoramaaufnahmen gefertigt. Die Stadt samt ihren antiken Überresten wird aus Aufklärungsflugzeugen abgelichtet. Für Leutnant Sedlmayr wird „ein älterer Freund „zum Mentor der neuentdeckten Kunst, zumal der Architektur“.25 Der Archäologe und preussische Geheimrat Theodor Wiegand steht als Hauptmann der Landwehrartillerie zu dieser Zeit in Damaskus. Er leitet ein deutsch-türkisches Denkmalschutzkommando und könnte den jungen Offizier aus Wien mit der Architektur des Nahen Osten vertraut gemacht haben. 26 27



Luftaufnahmen von Damaskus samt Auswertung aus der Zeit des Ersten Weltkrieges
Theodor Wiegand räsoniert über einen Grundgedanken, der Sedlmayr zeitlebens beschäftigen wird :
„Nie ist mir der Unterschied zwischen Morgenland und Abendland, zwischen europäischem Mittelalter zur Zeit der Frühgotik und orientalischer Architektur deutlicher geworden, als in dieser träumenden alten Kreuzfahrerstadt, deren gewaltige Burgmauern von ritterlich-stolzer Kraft reden, deren große Palastreste trotz ihres Verfalls mit ihrer leichten, sicheren Bogenarchitektur eine ganz andere Sprache reden als die Werke der Araber mit ihren Überlieferungen aus byzantinischen Zeiten. Tritt man gar in die wundervolle große Kirche, die jetzt Moschee geworden ist, sieht man die Einfachheit und Genialität der Raumverteilung, die wohltuende weite Klarheit, dann begreift man garnicht, daß es einmal eine Theorie gab, die den frühgotischen Stil von orientalischen Eindrücken der Kreuzfahrer ableiten wollte. Diese Kreuzfahrer waren den Arabern weit überlegen, sie brachten eine völlig selbständige, klar überlegte und durchgeistigte Bauweise mit sich, sowohl im Festungsbau als im Kirchenbau.“28

Theodor Wiegand scheint bewußt zu sein, welchen Luxus seine Forschungen bei dieser Kriegslage bedeuten : Im Januar 1917 erfrieren schlecht gekleidete türkische Soldaten in ihren Zelten29 Als ein Archäologe einen Geier schießt, ist der Kadaver bald verschwunden, „denn die Arbeitssoldaten hatten ihn geholt und sofort zum Essen zubereitet.“30 Die Soldaten selbst essen aus Hunger das rohe Getreide der Kamele auf. 31 Bei der Sektion einiger verstorbener türkischer Soldaten findet man ungemahlene Getreidekörner in den Därmen, die vom Futter der Tiere stammten.32 Es kommt zu einer Reihe von Vergiftungsfällen, „weil die vom Hunger gepeinigten türkischen Soldaten Gras und Kräuter aßen, um sich den Magen zu füllen, und dabei auch giftige Pflanzen erwischten“. 33 Wiegand klagt, die türkischen Soldaten seien „sämtlich unterernährt, mutlos, für Anstrengungen nicht geeignet, und ergeben sich in schwieriger Lage leicht. Neulich sieben Kompanien.“ 34Die Leute ergäben sich mit leerem Magen, schlechten Kleidern, ohne Geld und mit türkischen Offizieren, die kein Arabisch lernen wollen, weil sie die Araber verachten.35

Der fränkische Freiherr Friedrich Sigmund Kreß von Kressenstein erinnert sich tagtäglicher Zänkereien mit den türkischen Bundesgenossen.36 Er berichtet über zahllose Schwierigkeiten, die ihm bei jeder Gelegenheit entstehen, „während wir trotz hingebender Tätigkeit und trotz der anstrengenden Arbeit, die wir ja auch im Interesse der Türkei verrichteten, häufig recht schwere Demütigungen im Interesse der großen Sache einstecken mußten.“ Er schreibt über den Dienst als General der Artillerie und Oberbefehlshaber der 8. türkischen Armee : Sein Korps besteht aus drei arabischen Divisionen. Die Mannschaften sind fast ausnahmslos Araber und sprechen nur
die arabische Sprache, während die Offiziere in ihrer überwiegenden Mehrzahl Türken sind, die kein Wort Arabisch verstehen. Eine richtige Verständigung zwischen Soldaten und Offizieren, zwischen Führern und Mannschaften ist unmöglich.37 Er bemängelt bei den arabischen Truppen, ihnen fehle „ein Ideal, eine Idee, für die sie kämpfen und sterben konnten.“38




Befestigung des Halstuches als Nacken-
schutz an der Feldkappe
Abbildung aus einem Merkblatt des k.k.
Kriegsminsteriums

Auf türkischer Seite besteht Mißstimmung darüber, daß die fremdländischen Truppenteile zu hohe Anforderungen stellen und so sehr viel besser und reichlicher verpflegt werden als die türkischen Truppen. Kress findet es „ menschlich durchaus verständlich, daß sich der unter primitivsten Verhältnissen unter dem Existenzminimum lebenden türkischen Offiziere und Soldaten ein gewisses Gefühl des Neides bemächtigte, wenn sie sahen, wie sehr viel besser für ihre deutschen und österreichisch-ungarischen Kameraden gesorgt wurde.“ 39 Die türkischen Soldaten und Offiziere leben von sechshundert Gramm Hartbrot und einer Handvoll Rosinen oder Datteln oder Oliven am Tag40 Vor einem Marsch durch die Wüste werden die Tornister „zur Erleichterung der Leute an der Grenze der Wüste zurückgelassen; die armen türkischen Soldaten besaßen ja doch nichts, was sie im Tornister hätten verpacken können.“41
 
Der Führer der österreichisch-ungarischen Gebirgshaubitzdivision ist der Hauptmann Ritter von Truzschweski42. Er berichtet von Schanzarbeiten, bei denen „ die armen türkischen Soldaten, die zu einem großen Teil kein Stück Wäsche mehr auf ihrem Leibe trugen, bei Nacht wieder einrissen, was sie bei Tage gebaut hatten, um die Sandsäcke zu stehlen. Es bedurfte ganz barbarischer Strafen, um diesem Unfug ein Ende zu bereiten. Die Leute benützten die Säcke, die von den Haushaltungen in Syrien und Palästina geliefert und teilweise aus sehr guten Stoffen gefertigt worden waren, als Unterwäsche, oder sie kauften sich um einen Sandsack bei den Beduinen eine Zigarette oder eine Orange.“ 43




Der Vorstoß zum Suezkanal scheitert „an der mangelhaften Ausbildung und Disziplin unserer Truppen“.44 Ganze Verbände unter Führung ihrer Offiziere gehen zu den Engländern über.45 Im März wird Bagdad durch die Briten erobert. Der Fall der Kalifenstadt im Irak, einer der heiligen Städte des Islams, wirkt wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Im Juni trifft die zweigeschützige 10 cm Kanonenbatterie Sedlmayrs in Gaza ein. Der junge Leutnant wird in der dritten Schlacht bei Gaza als Zugskommandant verwendet. Am 1. 11.1917 um 4 Uhr früh beginnt der britische Großangriff auf die Hauptstellungen bei Gaza, wobei auch die Schiffsartillerie massiv eingreift.46 Der einundzwanzigjährige Sedlmayr steht für sechs Tage47 mit seiner Batterie bis zur Rücknahme der gesamten Verteidigungsfront auf die zweite, schon vorbereitete Linie, die Rückhaltstellung Askalon-Medschdel im schweren Feuer der englischen Land- und Schiffsgeschütze, die „wirkungsvolle Brisanzgeschosse verschwenderisch verfeuern.“ Trotz seines andauernden Fiebers hält er sich aufrecht und wirkt selbständig. Er ist zu einem stark beschossenen Seebeobachtungsstand eingeteilt und treibt englische und französische Kreuzer sowie mit schweren Geschützen bestückte flache Boote „mit Geschick“ von der Küste. Wiederholt müssen die Kanoniere zum Karabiner greifen, um den zu Lande vordringenden Feind von den Geschützen abzuhalten. 48

Die Gründe für das militärische Desaster sind vielfältig. Durch das schwere Artilleriefeuer sind die Stellungen schon seit Tagen ohne jeden Nachschub. Das Eingreifen der Schiffsartillerie verursacht schwerste Verluste. Von österreichischer Seite wird die mangelnde Koordination der türkischen Artillerie bemängelt. Ausgemachte Signale würden nur von den k. u. k. Batterien und wenigen türkischen Geschützen eingehalten, der Rest schieße wann und wohin er gerade wolle. Der türkische Artilleriekommandant, Oberstleutnant Sabri, habe sich bitter beklagt, daß er nur zu den k. u. k. Batterien funktionierende Telephonleitungen benutzen konnte und die türkischen Einheitskommandanten sich fast völlig seinen Anordnungen entzogen hätten.49 Die Entente muß der Offensive des Generals Allenby weichen, die zum Fall von Jaffa und Jerusalem führt.



Im Februar 1918 erhält der junge Orientkämpfer „Die Allerhöchst belobende Anerkennung bei gleichzeitiger Verleihung der Schwerter“. Der Kommandant der Ersatzabteilung für die 24cm Mörser-Batterie in der Türkei bescheinigt dem intelligenten und sehr ambitionierten Offizier, er sei „im Gefechte sehr schneidig“. Er erhält Urlaub, muß aber bereits im Mai wieder nach Konstantinopel abgehen. Da er seine Ausrüstung in der Schlacht von Gaza an die Engländer verloren hat, wird ihm ein Ausrüstungsbeitrag von 400 Kronen mit Bescheid vom 29.4. „als gebührlich zuerkannt.“ Am 4. Oktober wird ihm das Eiserne Kreuz zweiter Klasse verliehen. Im November 1918 haben fast alle österreichisch-ungarischen Formationen, zum Teil nach heftigen und verlustreichen Kämpfen an den Fronten und unter Aufgabe großer Teile des Materials, den Raum von Konstantinopel erreicht. 539 Soldaten von Sedlmayrs Einheit sind gefallen.50 Anfänglich noch mögliche Transporte über das Schwarze Meer machen für Teile der Formationen die Heimkehr bei Kriegsende möglich. 51Sedlmayr Militärische Dienstzeit endet am 11.11.1918. Sedlmayr legt Wert auf die Feststellung, daß er bei der Orientarmee mit fünf Tapferkeitsauszeichnungen dekoriert wurde. 52 Im einzelnen führt er das Signum laudis mit Schwertern, die kleine silberne Tapferkeitsmedaille, die bronzene Tapferkeitsmedaille, Kaiser Karl Truppenkreuz, das Eiserne Kreuz Zweiter Klasse aus dem Ersten Weltkrieg sowie den Ottomanischen Eisernen Halbmond aus dem Jahre 1917 an. 53


2. Zwischen den Kriegen
 
1Eva Frodl-Kraft, Hans Sedlmayr (1896-1984), Bundesdenkmalamt ( Hrsg. ), Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Bd. XLIV, Wien 1991, S. 9
2Sedlmayr, Das goldene ..., a.a.O., S. 176
3Sedlmayr, Das goldene ..., a.a.O., S. 126
4Hans Sedlmayr, Das goldene Zeitalter, Eine Kindheit, München 1986, S. 9
5Sedlmayr, Das goldene ..., a.a.O., S. 171
6Sedlmayr, Das goldene ..., a.a.O., S. 83
7Sedlmayr, Das goldene ..., a.a.O., S. 114
8Sedlmayr, Das goldene ..., a.a.O., S. 114
9Sedlmayr, Das goldene ..., a.a.O., S. 114
10Sedlmayr, Das goldene ..., a.a.O., S. 116
11Sedlmayr, Das goldene ..., a.a.O., S. 114
12Sedlmayr, Das goldene ..., a.a.O., S. 115
13Sedlmayr, Das goldene ..., a.a.O., S. 116
14Österreichisches Staatsarchiv, Bundesministerium für Unterricht, Personenstandesblatt 2.8.1945
15Frodl, a.a.O., S. 11
16Hofrat Dr. Rainer Egger, Direktor des Kriegsarchivs, Brief, Wien 3.2.200, S. 2
17Peter Jung, Die österreichisch-ungarischen Formationen in der Türkei 1915-1918, Österreichische Miltärgeschichte, 1995-Folge 2, Die k.u.k. Streitkräfte im Ersten Weltkrieg 1914-1918, Wien 1995, S. 9
18Österreichisches Staatsarchiv, Bundesministerium für Unterricht, Personenstandesblatt 2.8.1945
19Jung, Formationen ..., a.a.O., S. 9
20Piel (Hrsg.), Sedlmayr ..., a.a.O., S.1
21von Kressenstein, a.a.O., S. 194
22Karl Baedeker, Mittelmeer, Seewge, Hafenplätze, Landausflüge, Leipzig 1934, S. 484
23Theodor Wiegand (Hrsg.), Wissenschaftliche Veröffentlichungen des deutsch-türkischen Denkmalsschutz-Kommandos, Heft 5, Damaskus, Die islamische Stadt, von Karl Wulzinger und Carl Watzinger, Berlin 1924, Vorwort
24Theodor Wiegand (Hrsg.), Wissenschaftliche Veröffentlichungen des deutsch-türkischen Denkmalsschutz-Kommandos, Heft 4, Damaskus, Die antike Stadt, von Karl Wulzinger und Carl Watzinger, Berlin 1921, Vorwort
25Frodl, a.a.O., S. 10
26von Kressenstein, a.a.O., S. 198
27von Kressenstein, a.a.O., S. 198
28Wiegand, Halbmond ..., a.a.O., S. 253
29Theodor Wiegand, Halbmond im letzten Viertel, Archäologische Reiseberichte, Mainz 1985, S. 22
30Wiegand, Halbmond ..., a.a.O., S. 224
31Wiegand, Halbmond ..., a.a.O., S. 228
32Wiegand, Halbmond ..., a.a.O., S. 229
33von Kressenstein, a.a.O., S. 205
34Wiegand, Halbmond ..., a.a.O., S. 228
35Wiegand, Halbmond ..., a.a.O., S. 229
36Theodor Wiegand, Sinai, Wissenschaftliche Veröffentlichungen des deutsch-türkischen Denkmalschutz-Kommandos, Heft 1, Berlin 1920, S. 2
37Wiegand, Sinai..., a.a.O., S. 12
38Wiegand, Sinai..., a.a.O., S. 13
39von Kressenstein, a.a.O., S. 202
40von Kressenstein, a.a.O., S. 86
41von Kressenstein, a.a.O., S. 87
42von Kressenstein, a.a.O., S. 227
43von Kressenstein, a.a.O., S. 234
44Wiegand, Sinai..., a.a.O., S. 24
45Wiegand, Sinai..., a.a.O., S. 14
46Peter Jung, Der k.u.k. Wüstenkrieg, Österreich-Ungarn im Vorderen Orient 1915-1918, Graz 1992, S. 110
47Joseph Pomiankowski, ehem. k.u.k. Feldmarschalleutnant und Militärbevollmächtigter in der Türkei, Der Zusammenbruch des Ottomanischen Reiches, Erinnerungen an die Türkei aus der Zeit des Weltkrieges, Wien 1928, S. 315
48Pomiankowski, Erinnerungen ..., a.a.O., S. 315
49Jung, Wüstenkrieg...., a.a.O., S. 112
50Jung, Wüstenkrieg...., a.a.O., S. 167
51Jung, Formationen..., a.a.O., S. 6
52Dilly, a.a.O., S. 283
53Österreichisches Staatsarchiv, Bundesministerium für Unterricht, Personenstandesblatt 2.8.1945