Arabisches zur Marienkrönung
Details in einem Gemälde des Paolo Veneziano
Paolo Veneziano, Marienkrönung mit Engeln, Thronbehang, gegen Mitte des 14. Jahrhunderts, Venedig, Accademia, Saal 1, Tempera auf Holz, 1,42 x 0,90 m, Accademia, Venedig
Die Malerei tritt über ein architektonisch aufgefasstes Gerähm mit dem Kirchenraum in Verbindung. Die Fialen und Kreuzblumen, die Säulen, Kapitelle, Basen, vermitteln und begrenzen das Heilsgeschehen. Die mittlere Tafel wird von einer triumphbogenähnlichen Einfassung umgeben, von einem Tympanon bekrönt. Das einer Ikonostasis gleichende Rahmenwerk scheint dem griechischen Bühnenhaus, der "skenae" zu folgen. Wie auf einer Simultanbühne rollen die Szenen der Passion gleichzeitig ab. Die Franziskuslegende wird in kleinerem Maßstab ausgeführt. Der Höhepunkt, die Marienkrönung ist vergrößert. Im Mittelpunkt steht eine sternengesämte, strahlenumkränzte Scheibe, die Himmelsrund, Erdenkreis, aufgehende Sonne anklingen lässt. Der Goldgrund setzt sich auf der umgebenden Schnitzerei fort. Die goldene Kreisform des christlichen Nimbus wird aufgegriffen vom Rundbogen des hinter der Abendmahlsszene stehenden, einer Basilika ähnelnden Hauses.
Besteht nicht zu der innerlich freien, die Regeln angemessen verwandelnden antiken Tradition ein verborgener Zusammenhang ? Lässt sich in der Botschaft aus undenklicher Fremde das vermisste Eigene, das in der abgedroschenen Wiederholung verlorene, die wahre Überlieferung der Alten neu entdecken ? Sind die Laster der sich einförmig fortsetzenden hiesigen Kultur zu überwinden in der Besinnung auf herausfordernd Ungewöhnliches, das selbstverständlich Vertrautes auf die Probe stellt ?
Die Formenwelt, bei der die Italiener Anleihe taten, war vorwiegend fernöstlichen Ursprungs, nur teilweise mitgeprägt von islamischem Formgefühl oder bereichert mit pseudoislamischen Inschriften, wie etwa bei Paolo Venezianos Thronbehang der Marienkrönung in der Accademia von Venedig. Islamische Inschriften auf chinesisch anmutenden Stoffen sind in dieser Zeit keine Seltenheit. Es sei nur an die vielbesprochene Gewebegruppe erinnert, von der die sogenannten Regensburger Heinrichsgewänder und der Papageienstoff aus Danzig und Berlin die bekanntesten Stücke bilden. Auch sie tragen islamische Inschriften, Eulogien, , von denen die des Papageienstoffes sich auf einen bestimmten Mameluckensultan, nämlich Muhammad Nasir eddin (1309-1340) bezieht. Man pflegt sie daher als im Auftrag entstandene oder für Geschenke bestimmte Erzeugnisse zu halten, deren Herstellung dem mit chinesischer Form und Technik vertrauten , stark von mohammedanischer Bevölkerung durchsetzten und damals weit nach Westen vorgedrungenen Mongolenreich zu verdanken ist. Unter ähnlichen Voraussetzungen wird man die für die venezianischen Maler verbindlichen Gewebe betrachten können. 1
Das fremde Gespinst vermittelt einen Eindruck vom unglaublichen Entwicklungsstand der Seidenzucht, der Spinnerei, der Weberei, der Färbemethoden. Die kaum fassliche Perfektion im Umgang mit den zarten Kokons, den hauchfeinen Fäden, den durchscheinenden Textilien hebt überkommene Ansichten von Stoffherstellung aus den Angeln. Vordem war Gewirktes, Gestricktes bestenfalls besonders sorgfältig gearbeiteter Wetterschutz. Jetzt ist aus dem alltäglichen Überwurf ein Traum geworden. Notdürftig die schändlichen Blößen Bedeckendes wird schwerelos, streift alle Spuren der mühseligen Herstellung ab, erhebt sich zu einem geistvollen, federleichten Gebilde, indem sich ungehemmt Phantasien ausdrücken. Die Textilie entfaltet ihren Zauber im liturgischen und feudalen Auftritt. Sie wirkt genauso auf den ungläubigen Fremden, den fernen Händler und Sammler. Noch im kleinsten Fetzen sind die Fingerfertigkeit, der ausgeklügelt zarte Umgang des Webstuhls mit den empfindlichen Fäden und das überlegene Planungsdenken beim Anlegen der Muster ablesbar.
Beziehungen in den Orient werden bereits in der Antike gepflegt. Eine alte Karawanenstraße führt durch Turkestan. Aristoteles erwähnt in seiner Historia Animalium" die Seidenraupen. Horaz und Virgil kennen die Seide, die aus der Ferne in das römische Reich gebracht wird. Den Griechen gelten die Bewohner Chinas als "seres", Seidenleute. Produkte aus Cathay kommen seit dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert auf der Seidenstraße nach Rom.2 Die Seide ist der zweite wichtige Beitrag Chinas zur abendländischen Kultur nach dem Papier. Ihre Verwendung für liturgische Zwecke, Gewänder geistlicher Würdenträger, als Zeichen der Macht ist mustergültig. Plinius kennt den feinen Stoff, beklagt die jährlichen römischen Ausgaben in Höhe von hundert Millionen Sesterzen für diesen ausländischen Luxus. Er beschreibt, wie das exotische Tuch zum Statussymbol in Rom wird.3
Seidenbrokat von den Paramenten Papst Benedikts XI. aus Perugia, China, 13. Jahrhundert, New York, The Metropolitan Museum of Art, Purchase 1919, The Rogers Fund |
Seidengewebe, Ausschnitt aus der Kasel des heiligen Willigis aus Aschaffenburg; Syrien (?), um 1000, München, Bayerisches Nationalmuseum |
Seidengewebe, Italien, 14. Jahrhundert, Wien, Österreichisches Museum für Angewandte Kunst, Tela d'oro filato, broccata in seta verde, bianca e azurra di manufattura venziana a influenza cinese. Inizi del secolo XV. |
Ende des dritten nachchristlichen Jahrhunderts berichtet ein Mönch über die Künste der Chinesen, deren Stoffe oft über die islamische Welt, meist Damaskus nach Europa kommen. Im 13. Jahrhundert versuchen die Päpste, die Mongolen als Bundesgenossen gegen den Islam zu gewinnen.4 Gewebe kann als als Nachweis solcher Verbindungen dienen. Unveröffentliche Verzeichnisse des 13. bis 17. Jahrhunderts aus venezianischen Kirchen belegen, dass bildliche Zeugnisse in der Lagunenstadt schon sehr früh bekannt waren, geschätzt und bewahrt wurden.5 Venedig hat im 9. Jahrhundert enge politische und wirtschaftliche Beziehungen zum Osten. Gold- und silberdurchwirkte Seide aus Venedig ist bereits im 11. Jahrhundert bekannt. Nicht zuletzt infolge Marco Polos Reise mischen sich chinesische Elemente in die venezianische Seidengestaltung.
Venedig ist in dieser Zeit eine prächtig blühende Handelsbasis, der es möglich ist, zwischen Ost und West zu vermitteln. Im 15. Jahrhundert wird die Seidenproduktion eine wichtige Einnahmequelle für die Stadt. Sie ist ein Umschlagplatz für Seide aus dem Orient.6 Am Beginn des 15. Jahrhunderts kommen Seidenweber und Händler aus Lucca auf der Flucht aus ihrer besetzten Heimatstadt. Guelfische Meister aus Lucca wandern nach Florenz, Genua, Bologna und Mailand und Venedig aus. Ungefähr 300 Seidenspezialisten ziehen nach Venedig. Sie werden unter den Schutz der Regierung gestellt und von Steuern befreit. Sie richten Werkstätten und Geschäfte für Seide ein und bringen neue Arbeitsverfahren mit. Venezianische Schmuckformen sind stark vom Orient beeinflusst. Sie führen zur Entwicklung einer sehr qualitätsvollen Seidenproduktion, die sich auf einen Überfluss an Einfällen und überlieferte Ornamente stützen kann. Im 16. Jahrhundert wird Seide aus Syrien, der Türkei und Persien importiert.
Bereits in der Mitte des 13. Jahrhunderts richten Bürger von Lucca eine Handelsniederlassung in Acri in Syrien ein, importieren bereits seit dem 12. Jahrhundert Seide aus Georgien, aus Gensha, Gjislan, Talidj. Der Seidenhandel wird in Kompanien organisiert, die einzelnen Familien gehören und die nach marktbeherrschenden Positionen streben. Im vierzehnten Jahrhundert wird eine Tierwelt entwickelt, die östliche Vorbilder mit Gotischem verbindet. Der Pfau hat seine ursprüngliche Heimat in den Wäldern Indiens. Seine heraldische Rolle dort entspricht der unseres Adlers. Er gilt als schönster Vogel der Schöpfung, dient der Göttermutter Hera als Begleiter, trägt die Seele römische Kaiserinnen in den Himmel.7 Der Phönix wird erwähnt im "Physiologus, einer Ikonographie des frühen Mittelalters. Er verbrennt nach einer äthiopischen Legende fünfhundert Jahre lang auf dem Scheiterhaufen und erwacht dann zu neuem Leben. Phantastische chinesische Motive werden übernommen : Drachen, Hunde, vielfarbige Papageien, Wildschweine, Paviane, Leoparden, Adlerphönix, Löwen mit Menschenhaupt, der sagenhafte rote Paradiesvogel. Maurische Buchstaben werden zu reinen Schmuckzwecken eingesetzt zur Gliederung oder Auflockerung der Illustrationen. Der Webrahmen als rechtwinklige Vorgabe erfordert Flächengeometrisierung, Rhythmisierung.
Dante zeigt in Bildern der Dichtung die Zwiespältigkeit des abendländischen Verhältnisses zum Islam. Er gibt Mohammed die Schuld an der Spaltung des Glaubens an den einigen Gott: "seminator di scandalo e di schisma". Dieser muss büßen unter der höllischen Qual, in ewiger Wiederholung zerrissen zu werden. Der gerechte Herrscher Saladin wird besser behandelt. Der nordwestlich von Bagdad geborene Saladin erobert Jerusalem, schließt mit Richard Löwenherz Frieden, garantiert christlichen Pilgern den Zugang zum heiligen Grab, läßt gefangene Kreuzritter in ihre Heimat zurückkehren. Saladin bleibt wie der Arzt Avicenna und der Philosoph Averroes vom Paradies ausgeschlossen. Aber sie werden im Vorhof der Hölle von Martern bewahrt. Vorbildlichen Denkern, Weisen und gerechten Herrschern der islamischen Welt wird die Pein des Höllenschlundes erspart. In einem Vorhof, unerlöst und unverdammt, zeugen sie vom Zwiespalt einer abendländischen Auffassung, der kulturelle und und geistige Leistungen des Gegners geläufig sind. Aber selbst nach dem Weltenende sind die Gegensätze nicht aufgehoben, ist die Versöhnung nicht restlos und endgültig.>
Berichte von Reisenden, zurückgekehrten Gefangenen und Gelehrten über die Türkei und den Islam, werden in der Epoche vom Humanismus bis zur Aufklärung wissbegierig aufgenommen. Das klassische Bürgertum fragt nach dem zukunftsträchtigen Neuen. Es gibt sich nicht mehr mit frommer, aber oberflächliche Kritik zufrieden. Seiner selbst sicher, will es das Fremde kennenlernen. Es fragt nach Werten, die für die gesamte Menschheit Gültigkeit besitzen. Die aufgeklärte Öffentlichkeit ist ergriffen von dem Bewusstsein, dass das wahre Humanum nicht getroffen wird, wenn es nicht auch das umfasst, was dem Gegner Selbstverwirklichung gibt. Wer etwas sagen will über den auf das Neue gerichteten Menschen, muss auf den Islam blicken.8
In der Serenissima herrscht ein gutes Verhältnis zu den Türken. 1480 stellt ein durchreisender Franzose fest, die Venezianer hätten wohl ihren Frieden mit den Türken gefunden. Der türkische Botschafter kleidet sich in rotgeblümten Samt und zieht sich zur Feier des Pfingsttages ein goldglänzendes Gewand an. Auf Märkten verkehren Mohren, es gibt Beziehungen zum Königreich zu den afrikanischen Küsten, etwa zum Königreich hafsida in Tunesien. Bereits 1346 wird schriftlich über den Salzpreis verhandelt. Man einigt sich über Maßnahmen gegen Piraten, Freilassung christlicher Sklaven oder venezianischer Kaufleute, die infolge ihrer scorrerie festgesetzt wurden. Der Senat verzeichnet entsprechende Lösegeldzahlungen. Als die Ritter von Rhodos 200 Muselmanen gefangen nehmen, macht der Senat seinen ganzen Einfluss geltend, stellt eine imponierende Flotte zusammen, um den freien Umgang mit dem Orient sicherzustellen. Wenn ein Berberhäuptling mit einem Sultan verhandeln will, kommt er nach Venedig. 1507 hält sich der mamelukische Botschafter Tanriverdi in Venedig auf, um über Pfefferexport zu verhandeln. Es gibt jährlich eine Seefahrt in die Berberei.
Das Register des venezianischen Senats im Jahre 1530 erwähnt den Edelmann "Thoma Mocenigo". Er dient als Botschafter in Konstantinopel und macht sich erbötig, den Kirchen von San Marco und seiner Pfarrei San Samuele, goldene Kasaks, die er von "Ser.mo Sig Turco" geschenkt bekam, zu überlassen, sodass daraus "Paramente, Pivialen und anderes hergestellt werden können.9 Die Verbindungen Venedigs nach der Levante sind in den Botschaftsakten nachzulesen. Mocenigo berichtet für das Jahr 1530 seinem Senat über Einnahmen aus Salinen, Bergwerken, Fischgründen und Viehweiden in Griechenland und Anatolien. Insgesamt 900.000 Dukaten kommen aus Kairo. Mit dem Seidenhandel in Damaskus und Aleppo ließ sich eine Dreiviertelmillion venezianischer Goldmünzen erlösen. Dem stehen Aufwendungen für Fußvolk und Reiterei, Sozialausgaben, Kontaktpflege mit den Muftis, Spesen in Rhodos, Belgrad, Smyrna und Gallipoli gegenüber. Der Reingewinn beträgt fast zwei Millionen Zechinen. 10
1 Brigitte Klesse, Seidenstoffe in der italienischen Malerei des vierzehnten Jahrhunderts, Bern 1967, S. 73
3 Mario Bussagli, La Seta in Italia, Rom 1986, S. 41
4 Paul Merker, Wolfgang Stammler, Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 2, Berlin 1977, S. 858
5 Luca Molà, Reinhold C. Mueller, Claudio Zanier, La seta in Italia dal Medioevo al Seicento, Dal baco al drappo, Venezia 2000, S. 75 ff.
6 L' Arte Serica da XII al XX Secolo, Le Vie della Seta in Italia, Treviso 1990, S. 6
8 Siegfried Wichmann, Weltkulturen und moderne Kunst, München 1972, S. 14
9 Luca Molà, Reinhold C. Mueller, Claudio Zanier, La seta in Italia dal Medioevo al Seicento, Dal baco al drappo, Venezia 2000, S. 75 ff.
10 Maria Pia Pedani-Fabris (Hrsg.), Relazioni di Ambasciatori Veneti al Senato, Bd. 14, Costantinopoli, Relazioni inedite (1512 1789), Padua 1996, S. 43 ff