Ende einer Luftfahrt

Kriegszerstörung eines Deckenfreskos von Giambattista Tiepolo in Venedig 

Der Vertrag für die Ausführung wird unterzeichnet am 13.9.17431, ehe die Fresken in Scuola del Carmine fertiggstellt waren. Es wird eine Arbeitsdauer von zwei Jahren vereinbart. Tiepolo ist verantwortlich für die ganze Konzeption, einschließlich der "ornamenti e s' occorarà d'architettura". Bei den an die Architektur anschließenden Ornamenten darf er sich der Mitarbeit des Quadratmalers Gerolamo Mengozzi, genannt Colonna bedienen. Der auszuschmückende Bau stammt aus der Mitte des 17. Jahrhunderts und ist von Baldassare Longhena, dem Schöpfer der Sta. Maria della Salute, entworfen. Die Fassade wird 1672 von Giuseppe Sardi errichtet. Tiepolo verzeichnet eine erste Zahlung der unbeschuhten Karmeliter für seine Arbeit am 13. September 1743 :“13 sett.p.p. ha stabilito l'accordo con i Rev. Padri Carmelitani“2. Er quittiert eine weitere Zahlung im April 1745. Ein letzter Rest geht am 23. November ein : " Ricevo io sottoscritto 400 ducati quattrocento corrent, quali sono ultimo residuo, e tolti dalli ducati tre mila per la pittura fatta da me nel soffito della chiesa.“

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Die Fassade von Giuseppe Sardi gibt eine festliche weißmarmorne Stimmung vor. Der palladianische Gedanke eines feststehenden, eigenständigen Baukörpers, einer gewaltig ragenden, antiken Stadttoren und Triumphbögen nangeglichenen Schauwand wird neu vorgetragen. Durch auskragende Gesimse, vorspringende Pilaster, ausgreifende Sockelzonen wird der Platz am Canale Grande gestaltet. Die Schattenregionen der Figurennischen, des Rundbogens über dem Eingang werden belebt vom funkelnden Lichtspiel des vorüberflutenden Wassers. Tiepolo ist dieser prächtige Auftakt vorgegeben. Auch er muss die Madonna zentrieren, seine zuerst skizzierten Flugversuche mit dem himmlischen Haus auf die Mitte beschränken. Er hat eine Verbindung herzustellen zwischen dem Eingangsbereich und dem himmelan sich emporarbeitenden Hochaltar des Viviani und Pozzo. Die komplizierten Anschlüsse aus dem Gewölbe an die tragenden Wände bieten willkommene Freiheiten. Am Ende des großen Projektes erweist sich die ungebrochene Kraft der bildlichen Erfindung. Ein in der Vertikalen auf den Eindruck von Unendlichkeit angelegte Raum wird in der Horizontalen um vier launig konzipierte Nischen erweitert.
 
Bei den Feldern des Freskos, die sich aus der verzwickten Durchdringung zweier Halbtonnen ergeben, ist die tiefenräumliche Illusion mit einer geschickten Formzerlegung und Flächenauflösung zu verbinden. Mengozzi hat die bizarren Grate beim Zusammenstoßen der stereometrischen Körper mit ausgefeilter Perspektivmalerei zu umgarnen. In den solcherart täuschend plastisch umrahmten Malgründen kann Tiepolo ein ikonographisches Programm entwickeln. Es greift im Kirchenraum bereits vorhandene Motive wie die Weissagung der Sibyllen auf, beruhigt den Farbentaumel unterschiedlichster Marmorsorten in der Grisaille, überhöht durch verweisende Gestalten des Alten Testaments. Der feierlich, düstere Grundton in Colonnas Quadratursystem wird einzig in den abenteuerlich verschalten Ecken des Kirchenschiffs verlassen. Hier lässt der Meister die Zügel schießen. Die Oranten verbinden innige Andacht mit packender malerischer Frische. Auf unebenem, unberechenbar geformtem Grund wird intuitiv konstruierend die Perspektive von eingetieften Loggien samt vorspringender geschwungener und durchbrochener Brüstungen imaginiert. Die Mallust der ersten Capriccios blitzt auf.
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Die Bedeutung der Madonnenverehrung in Venedig ist aus der Franziskanerkirche "Santa Maria Gloriosa dei Frari", dem bedeutendsten Sakralbau der venezianischen Spätgotik, ersichtlich. Die Gottesmutter ist zentraler Bezugspunkt. Nach der Nähe zum Mantel der Himmelskönigin lässt sich die gesellschaftliche Stellung der in den Grüften der Kirche ruhenden Feldherrn, Dogen und Kleriker ermessen. Die Fürsprache beim Jüngsten Gericht wird am sichersten denen zuteil, deren sterbliche Überreste sich der marianischen Fürbitte vor dem göttlichen Richterstuhl durch geringen Abstand und hervorragende Platzierung empfehlen. Die Überführung des Heiligen Hauses, die Himmelfahrt einer Immobilie, schafft vielerlei Vorteile : Pilgerfahrten können fortan in Europa abgewickelt werden, Spenden bleiben im Lande. Den Wallfahrern bleibt der gefährliche Weg in das Gelobte Land erspart. Ungläubige können nicht mehr die heilige Stätte bedrohen. Die Erdkunde des Heilsgeschehens wird enger auf den römischen Mittelpunkt bezogen.
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Il trasporto della Casa di Nazareth a Loretto, vorbereitende Studie, Accademia, Leinwand 124 x 85 cm Holy House of Loretto, British Rail Pension Fund, on loan to the National Gallery, London, 123 x 77 cm, jetzt Malibu, The J. Paul Ghetty Museum Die Überführung des Heiligen Hauses von Nazareth nach Loretto, 75 x 40,5 cm Barockmuseum Salzburg

Der Salzburger Entwurf für die Scalzikirche ist der endgültigen Ausführung am nächsten. Die Mondscheibe steht zum ersten Mal hinter dem heiligen Haus, auf dem die Madonna durch die Lüfte zieht. Der Giebel befindet sich an der selben Stelle. Nebensächliche Hellebarden fallen weg. Die Abstände der einzelnen Gruppierungen entsprechen sich, geben den Blick frei in blaue Himmelshöhen. Die einschneidenden Tonnen der beiden Seitenaltäre, die gestreckte Form der Decke sind berücksichtigt. Symmetrien sind in dem doppelt spiegelbaren Bildfeld aufgegeben. Gliedmaßen der hinabtaumelnden Gestalten, Haltung und Gewand der Posaune blasenden Engel entsprechen der schließlichen Ausführung. Nur das Sonnenlicht im oberen Rund hat beim Fresko seine bestimmende Rolle verloren. Der Engel mit vor Gottvater ausgebreiteten Flügeln und der beidhändig für Maria zur Krönung hochgereckten Krone ist in der Fassung des Ghetty-Museums der endgültigen Version näher. Auf dem Bozzetto in der Accademia ist links daneben eine weitere Figurengruppe vorgesehen. Es werden zahlreiche Einzelheiten erprobt, die in den späteren Werken aufgegeben sind.

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Der palmzweigschwingende Himmelsbote neben der Taube des heiligen Geistes fehlt in der Variante zu Malibu ebenso wie der flüchtende Satan. Eine senkrechte Mittellinie verbindet Gottvaters Rechte, Maria Linke, die stützende Hand eines tragenden Engels. Das Fundament des Hauses steht über der Mittelwaagrechten. Gewölbescheitel und die Querung durch die beiden Seitenkapellen werden als Gliederungsmittel berücksichtigt.

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Die Posaunisten am rechten Bildrand ziehen voran. Die schwerwiegende Überführung erhebt sich mit sichtlicher Mühe. Sankt Joseph findet auf der Dachschräge Halt, erhebt bewundernd den Blick zu seiner Gattin. Zeigt sich im linken unteren Teil des Ovals eine vom Teufel selbst angestiftete bewaffnete Bedrohung der heiligen Stätte, die eine Rettung der "Sacra Casa" verlangt ? Sind dort Turbane zu erkennen, die eine Bedrohung der heiligen Stätte durch Ungläubige bezeichnen ?

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Die Weite des Äthers wird in den früheren Fassungen durch Wolken verstellt, die eine goldene Sonne bescheint. Feuriger Glanz strahlt aus einem Goldgrund, der Sichtbeziehungen und Handzeichen der in ihnen lagernden überirdischen Gestalten zulässt. Gottvater und Sohn räkeln sich in der Accademia so bequem, dass fraglich erscheint, ob sie selbst an der weiten Reise teilnehmen. Die Überführung eines ganzen Bauwerkes aus der Heilsgeschichte vom Gelobten Land nach Italien beginnt in der Dämmerung als gemeinsame Luftfahrt. Die Fluggesellschaft müht sich teils hievend und schiebend. Engelsbeine winkeln sich angestrengt, Arme recken sich, um das Bauwerk in der Senkrechten zu halten, auf dem die Muttergottes schicklich Halt finden muss. Die dahinter folgende Gruppe himmlischer Wesen schwebt leicht und musizierend. 

 

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Das hinterrücks in den Abgrund stürzende Figurenknäuel ist beim Gemälde der Accademia noch nicht vorgesehen, in der amerikanischen Ausführung erdacht und anschaulich ausgemalt, am Mirabellgarten mit der Wolkenstaffage passgerecht eingeplant. Das vorwärtssegelnde Gebäude lässt sich im ersten Entwurf schwer durch die untere Bildhälfte wuchten. Der Ellipsenmittelpunkt wird von der Gottesmutter als Hauptfigur und einer Gruppe musizierender Engel umspielt. In den folgenden Ausführungen fällt dieser reizvolle Kompositionsgedanke dem Engpass zwischen den beiden weit hereinspringenden Zwickeln zum Opfer.

 

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Der Satan scheint vom Schub des himmelwärts auffahrenden, sich nach oben perspektivisch verkürzenden Gebäudes aus dem Bild geweht zu werden. Der Lufttransport in den späteren Fassungen muss sichtlich weitere Strecken in der Horizontalen zurücklegen. Das Kirchendach ist in einem gerahmten Ausschnitt geöffnet. Die nach oben ausgerichteten zeichnerischen Konstruktionen versetzen den Betrachter selbst in schwindelnde Bewegung, sodass der Kirchenbau wie eine riesige "camera obscura" mit der mächtigen göttlichen Fluglinie zu schwenken scheint. Ist eine "Raumfahrt" vor dem Hintergrund des Mondes vorstellbar ? Oder spielt sich ein kosmischer Transfer ab, der vom All mit Blick auf die Erdkugel gesehen wird ?

 

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Der Erzherzog heißt Eugen Ferdinand Pius Bernhard Felix Maria, ist kaiserlicher Prinz, königlicher Prinz von Ungarn, Böhmen usw., k.k. Hoch- und Deutschmeister. Sein Vater ist der Erzherzog Karl Ferdinand. Seine Mutter Elisabeth trägt den Titel einer Erzherzogin von Österreich-Este-Modena.3Erzherzog Eugen kann noch im hohen Alter die italienischen Texte von Mozartopern vortragen. Er hält es für geboten, bei militärischen Entscheidungen "im Zweifelsfall die Kühnere" zu treffen. Er bezieht nach dem Kriegseintritt Italiens Maribor als Hauptquartier, wird mehrmals vom Kaiser handschriftlich belobigt.4 Der Erzherzog dient als Kavallerist. Wenn er als Landeskommandant von Vorarlberg und Tirol seinen Hofstaat von Wien nach Innsbruck verlegt, ist ein Sonderzug unterwegs, um Rösser, Chaisen und Equipagen zu überstellen. Er begeistert sich für die Marine, verblüfft durch technische Detailkenntnisse von Dampfern. Er befehligt 1915 nach dem Rücktritt des Generals Potiorek die österreichisch-ungarische Front auf dem Balkan und wird im selben Jahr Oberbefehlshaber gegen Italien.5 An der Südwestfront agiert er angeblich zurückhaltend, wenig angriffslustig. Seine Truppen sollen zahlenmäßig unterlegen sein. Seine weitgreifenden Planungen sind behindert durch Rücksichten auf einen Mehrfrontenkrieg

Der von Bismarck angeregte Dreibund zwischen Italien, Österreich und Deutschland zerbricht am Beginn des Ersten Weltkrieges, als italienische Einflussbereiche auf dem Balkan von der österreichischen Kriegsführung berührt werden. Mussolini und d' Annunzio treten bereits als Scharfmacher gegenüber der eher bedächtigen italienischen Heeresleitung auf. Im Hafen von Triest liegt die österreichische Flotte. Sie kann die Meerenge von Brindisi nicht passieren, ist zur Untätigkeit verurteilt, muss aufwendig gesichert und geschützt werden. Riesige hochmoderne Panzerkreuzer verbergen sich hinter einem Labyrinth von Sperren an der Reede. Österreich hat mit seinen Lohner- Doppeldeckern anfangs die Lufthoheit über der Adria. Italien ist mit Zeppelinen ausgerüstet, die in gewaltigen Explosionen verglühen oder matt auf den Meeresspiegel sinken, um vom Gegner eingebracht zu werden.

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Giuseppe Freiherr von Parisi besitzt ein altehrwürdiges Handelshaus und Speditionsgeschäft in Triest. Er wurde vor zwölf Jahren geadelt. Der bürgerliche Familienbetrieb besteht seit 1807. Der Prinzipal fürchtet um seine warengefüllten Lagerhallen in Venedig. Sein Sohn Francesco informiert das Armeeoberkommando in Wien durch eine detaillierte Lageskizze seiner Anwesen und bittet um Schonung. "Große Quantitäten Baumwolle und Schafwolle" im Wert von mindestens 15 Millionen Kronen lagern bei Santa Chiara und auf Sacca Fisola. Offensichtlich kennt er Zeitungsmeldungen, nach denen die Wallfahrtskirche von Loretto bei Ancona im Zuge österreichischer Luftangriffe zerstört wurde.

Die Politik hat das Feld geräumt, militärische Notwendigkeiten regieren. Die handschriftliche Note des päpstlichen Nuntius, in der Luftangriffen wahllose Zerstörung friedlicher und rüstungswichtiger Güter, von Städten wie von Militäranlagen, die Tötung von Zivilisten wie Soldaten gleichermaßen angelastet wird, stößt im Außenministerium auf Befremden. Der Hinweis auf die Schutzwürdigkeit italienischer Kunstdenkmäler wird mit Hohn quittiert : eine wirksame Kriegführung gegen das von Sehenswürdigkeiten übersäte Land wäre dann von vorneherein ausgeschlossen. Das Armeeoberkommando bemerkt am 4. Juli trocken, Sicherheitsgarantien für kirchliche Bauten könnten nur gegeben werden, "wenn sie nicht durch den Umstand, daß in ihrer Nähe seitens des italienischen Heeres Vorkehrungen getroffen werden oder Operationen stattfinden, die in den Bereich kriegerischer Unternehmungen fallen."

Die Operationskanzlei des Kriegsministeriums in Wien findet am 22.6.1915 Zeit, beim Handelsministerium festzustellen, ob die Firma fahrlässig verschuldet hat, "daß sich österreichischer und deutscher Besitz in einer gefährdeten Lage befindet". Am 22. Juli berichtet der Polizeipräsident von Triest, die Familie stehe zwar geschäftlich in Beziehung "zu zahlreichen bekannten Männern des Nachbarreiches". es wird aber festgestellt : "Giuseppe Parisi und dessen Söhne beoachten eine durchaus korrekte Haltung. Sie unterhalten Filialen in Wien, Prag, Eger, Fiume, Ala, München, Hamburg, Dresden, Venedig, Genua, Mailand, Monza, Brusto-Arsizio und Udine.

 

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Im "Fliegerakt" des Jahres 1915 liegt der säuberlich ausgeführte Lageplan eines Umspannwerkes östlich der Stelle, wo die Brücke vom Festland in die Stadt Venedig mündet. Die Zerstörung des unscheinbaren technischen Bauwerkes könnte die Lagunenstadt für einige Zeit in nächtliche Finsternis senken, die Rüstungsproduktion im Arsenal stören, das Telephonnetz lahmlegen, aber auch lebenswichtige Funktionen in Krankenhäusern ausschalten. Der notwendig wuchtige, alles entscheidende, letztlich friedensstiftende Schlag wird vorgeschützt, wenn es um den Nachweis äußerster, erbitterter, rücksichtsloser Entschlossenheit geht. Ein Stück der Identität, Inbegriff gemeinsamen Stolzes, ein besonders verehrtes Glanzlicht kann nebenbei ausgelöscht werden, selbst wenn im Mittelpunkt der metergenauen militärischen Planungen eine technische Schaltzentrale steht.

Noch wird die Ideologie des schonenden, durch die kriegswichtige Rolle des Zieles unbedingt gerechtfertigten, randliche Schäden unbedingt vermeidenden Luftschlages gepflegt. Im weiteren Verlauf der Luftkriegsgeschichte werden mit der Zertrümmerung von Coventry und Bombenflügen gegen Hansestädte der Ostsee kunsthistorische Überlegungen in die Zielplanungen aufgenommen.

Generaloberst Erzherzog Eugen, der Oberbefehlshaber an der Südwestfront plant "durch einen nächtlicher Zeit durchzuführenden Flugraid" zwei Wasserkraftwerke und die Elektrizitätsanlage in Venedig zu bombardieren. Er bemerkt am 7. Oktober : "Von ganz besonderem Werte wäre es, wenn zu gleicher Zeit oder nur wenig früher oder später auch die Kraftanlage in Venedig durch Flieger ausgiebig zerstört würde.

 

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Eine der nächsten mondhelle Nächte soll genutzt werden. Die hektographierte Zeichnung im gleichen Faszikel gibt die Kurse der von Triest auslaufenden Schiffe der österreichischen Flotte, sowie die Flugroute der Bombenflieger vom Hauptkriegshafen Pola an der Spitze der Halbinsel Istrien wieder. Die kaiserlich-königliche Armada hält sich bereit, havarierte Luftschiffer aus der Adria zu fischen. Für italienische Gegenschläge ist vorgesorgt. Seiner Majestät Schiffe Novara und Spaun liegen "dampfklar mit allen Kesseln". Neueste Technik wird aufgeboten. Zwei Unterseeboote navigieren an den Einfahrten zur Lagune beim Lido und bei Malamocco. Das Kreuzerflotillenkommando schickt fünf Torpedoboote westwärts. Die Verständigung mit den Fliegern soll durch Leuchtpatronen erfolgen.

 

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Die Einsatzpläne der Piloten für den nächtlichen Großangriff sind mit Blaumatrize vervielfältigt. Die störanfälligen, teils durch bizarre Unfälle dezimierten Seeflieger sollen sich bewähren. Eine Bombenlast von siebenhundert Kilogramm Sprengstoff und annähernd vierzig Brandbomben nähert sich der schlafenden Stadt in neun Flugzeugen. Die italienische Luftabwehr ist einfach. Auf ein Leuchtzeichen, das die Annäherung feindlicher Flugzeuge signalisiert, feuern sämtliche Geschütze, gehen Gewehrsalven von den Dachgärten in die Lüfte. Österreichische Flieger rühmen sich, die Gefahren geringer Anflughöhen - im Gegensatz zu ihren feigen Gegnern - nicht zu scheuen, um ihre Treffer sicher zu platzieren.

Der Anflug in der Vollmondnacht des 24. Oktobers 1915 orientiert sich an der Teichlandschaft der Lagune, folgt einem westwärts verlaufenden Kanal, schließlich der Insel von San Giorgio und dem seitenverkehrten "S" des Canale Grande. Der Beobachter und Schütze sitzt hinter dem Piloten. Er muß wie bei der Entenjagd einige Zeit vor dem Ziel die tödliche Ladung auslösen, um das horizontale Abdriften der Bombe gefühlsmäßig zu bestimmen. Die Wirkung der Explosivladung ist bekannt. 50 Kilogramm Sprengladung ergeben auf freiem Feld eine Kratergröße von bis zu acht Metern Durchmesser. Häuser werden im Umkreis von bis zu hundert Metern verwüstet. Straßenpflastersteine sind besonders gefährlich. Sie können schrapnellartig durch die Luft schießen.6

 

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Tiepolos Fresko ist unter einer Lattentonne auf Mörtel gemalt, der von Schilfmatten gehalten wird. Die gusseiserne Bombe durchschlägt eine zarte Konstruktion, die bereits knapp zweihundert Jahre überdauert hat. Die Druckwelle der Explosion um 22.15 Uhr wirft den zerbrechlichen Malgrund gegen den Dachstuhl und die Dachhaut, um ihn dann pulverisiert auf den Kirchenboden sinken zu lassen. Das italienische Militär nimmt vier österreichisch-ungarische Flugzeuge wahr, vermutet eine Attacke auf die Eisenbahnstation. Der Angriff dauert zwei Stunden. Auch auf den Markusplatz fällt ein Blindgänger. 7

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Die Prophezeiung des Propheten Nathan, Freskenfragment 2 x 4m

Die Venezianer wandern am nächsten Tag zu der Ruine. Fassungslos stehen sie vor dem zerstörten Bauwerk, das an die Überführung des Hauses der heiligen Familie aus Nazareth nach Loretto gemahnen sollte. Nach der Legende beförderten Engel das Gebäude durch die Lüfte aus dem Gelobten Land nach Italien. Nun steht ein abgedeckter, seines prächtigsten Schmuckes beraubter, enthaupteter Rumpf jämmerlich neben dem wohlbehaltenen Bahnhof. Gottseidank sind keine Menschen zu Schaden gekommen. Die Sonne scheint durch das Dachgebälk, fällt durch die ins Leere greifenden Tragwerke auf staubige Splitter.

 

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Moses und Aaron, 1745, Stuttgart, Staatsgalerie, M. 337

Die Prophezeiung des Propheten Nathan, der Auftritt von David und Michal, Moses und Aaron haben ihren Bezug zum gemalten Himmel verloren. Das nackte Tageslicht fällt durch leere Dachsparren auf ihre Verkündigungen. Nur in den Ecken des Kirchenschiffs haben sich Zuschauer erhalten. Einst blickten sie feierlich wie aus Opernlogen in den Sakralraum, drängten sich an filigranen Balkonen, um den barocken Ritus der unbeschuhten Karmeliter zu verfolgen. Jetzt liegt ein Trümmerfeld vor ihren Augen.

Die Zerstörung des großen Freskos ist ein Schock. Eine Nation, die ihr Selbstbewusstsein aus den künstlerischen Großtaten ihrer Ahnen speist, muss zutiefst erschüttert sein. Religiös und kulturell empfundene Scham über den unwiederbringlichen Verlust überwiegt den Zorn gegenüber der blindwütigen Untat. Kunstliebe wie Gottesfurcht wird gleichermaßen der Boden entzogen. Das stolze Erbe ist nicht etwa in malerische, noch in der Zerstörung großartige Trümmer gefallen. Es ist von moderner Sprengkraft buchstäblich pulverisiert, zerstäubt. Herabstürzende Ziegel haben zerstückelt, was nicht im Explosionsdruck zerbarst.

Das künstlerische Vermächtnis ist ausgelöscht. Mutwillig in die Tiefe gerissen von einer technisch überlegenen, hochgerüsteten Großmacht. Ein unersetzlicher Bezugspunkt der Heimatliebe, ein glänzendes, weltberühmtes Meisterwerk ist in einem Schlag aus finsterem Himmel zerstoben. Ohnmächtig steht ein Staat da, der seine hervorragendsten Güter nicht zu schützen vermag. Kläglich verhallen Ruhmreden von der Verteidigung des Vaterlandes, wenn ein Herzstück des Zusammengehgehörigkeitsgefühls vom Feind unversehens ausgelöscht werden kann. Ein unberechenbarer Gegner dringt zu nachtschlafender Zeit ungehindert vor. Er fällt in Weise über Kunstschätze her, die an seinem klaren Verstand, seiner überlegten Kriegführung zweifeln lässt und die Furcht vor weiteren noch ärgeren Übergriffen nährt.

 

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Der Gazzettino berichtet erst am übernächsten Tag in großer Aufmachung von drei Luftangriffen auf die Stadt, in deren Folge Tiepolos Werk vernichtet wurde, vergleicht den Feind mit Attila.8 Mussolini äußert sich lautstark im Giornale d' Italia über die " infamia austriaca". Man fürchtet um die Autorität der Kirche, erwartet einen Protest des Vatikans, versteht den Schmerz des Papstes. Frankreich protestiert. Man tröstet sich, dass wenigstens die Apotheose der heiligen Theresa, ein Werk Tiepolos in der linken Seitenkapelle verschont blieb. Der Minister Barzilai besichtigt den Schaden. Der Apostolische Nuntius Monsignore Scapinelli wird am 21.Oktober im Kriegsministerium zu Wien vorstellig. Dort wird bedauert, dass "das Deckengemälde des Tiepolo Schaden erlitt". Ihm wird erklärt, "daß Bomben nicht immer dort hinfielen, wohin man sie zu werfen beabsichtige". Er müsse verstehen, daß es nicht möglich sei, ein absolutes "Prinzip der Schonung von Kunstwerken" aufzustellen, da man sonst Italien "überhaupt von der Kriegführung ausschließen" müsse.

Der Gegner hat zu gewärtigen, dass nicht nur fahrlässig auf seine Kostbarkeiten gezielt wird. Er muss gefasst sein, dass die Verwüstung von Kulturgütern, die für sein Selbstverständnis wichtig sind, bereits von vorneherein billigend in Kauf genommen wird. Um Entschlossenheit zu demonstrieren und den Kampfeswillen der solchermaßen Ausgelieferten zu brechen, wird der Wert der jeweils bedrohten Baudenkmäler und Kunstschätze gering veranschlagt. Insgeheim eignet sich aber das besonders Schutzwürdige hervorragend als Angriffspunkt, wenn niedergeschlagen und zertrümmert werden soll, wofür sich zu kämpfen lohnte. Die Todesanzeigen von der Front scheinen schwerer zu wiegen. Es gilt jetzt, die Heimat vor weiteren Verwüstungen zu bewahren, das Alarmsystem zu verbessern, Kunstschätze zu sichern, auszulagern, zu ummanteln, abzustützen. Französische Flieger werden zu Hilfe gerufen, aufgefischte österreichische Doppeldecker nachgebaut. Die großartigen meterhohen Ansatzstücke von Tiepolos Fresken können geborgen werden. Erst fünfzig Jahre nach den tragischen Ereignissen werden sie in der Accademia wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

 

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1   Michael Levey, Giambattista Tiepolo, His Life and Art, New Haven 1986, S. 112

2   Antonio Morassi, A Complete Catalogue of the Paintings of G.B.Tiepolo, including Pictures by his Pupils and Followers wrongly attributed to him, London 1962, S. 233

3   Wer ist's ? Unsere Zeitgenossen, Hermann Degener (Hrsg.) 1928

4   Zoe von Schildenstein, Erzherzog Eugen 1863 - 1963, Innsbruck 1963

5   nach : Wilhelm Koch, Das katholische Deutschland, 1933

6Österreichisches Staatsarchiv, Kriegsarchiv, K.u.k. Flottenflugabteilung., Res. Nr. 128, Wirkung der 50 kg Bomben, Kumbor 23.3.1916

7Giovanni Scarabello, Il Martirio di Venezia Durante la Grande Guerra e l' Opera di Difesa della Marina Italiana, Bd. I, Venedig 1933, S. 66 ff.

8Il Gazzettino, 29. Jhg., Nr. 298, Venedig 26.10.1915, S. 1, 2