Arnold Böcklin als Fremder

Der neueste Katalog des Kunstmuseums in Basel verzeichnet knapp zweihundert Literaturhinweise, die der Deutung und dem besseren Verständnis von Leben und Werk des Schweizer Malers dienen. In München allein werden beinahe vierzig Erinnerungsbände, kunstwissenschaftliche Aufsätze und Sammelwerke verlegt. In Berlin und Frankfurt am Main erscheinen rund fünfzig Schriften zu Böcklin. Das Heimatland Schweiz hat nur die Hälfte an Kunstbüchern und Abhandlungen über ihren großen Sohn hervorgebracht. Außer dem deutschen Sprachraum liegt in Paris ein Schwerpunkt der Auseinandersetzung mit dem Vermächtnis dieses Malers. In Genf, Lille, Liége, Gent, Den Haag, Mailand, in New York und Berkeley wird vereinzelt zu diesem Thema geforscht. Bei den Ausstellungen tritt München achtmal hervor, während das Baseler Kunstmuseum nur drei Präsentationen zu verzeichnen hat. Kann bei dieser andauernden Aufmerksamkeit der Fachwelt, kann trotz des jahrhundertlangen ungebrochenen Interesses des deutschen Publikums an Arnold Böcklin noch etwas fremd sein? Oder liegt gerade im letztlich Ungeklärten, im vermuteten Tiefgrund deutschen Gemütes der unverminderte Reiz?

Der Maler und Zeichner Arnold Böcklin ist zeitlebens unterwegs. Schon den jugendlichen Kunstbegeisterten aus der Stadt am Dreiländereck zieht es für zwei Jahre nach Deutschland, für ein Jahr in die Niederlande und die französische Schweiz, dann nach Paris. Nach jeweils kurzen Heimataufenthalten folgen zweimal abwechselnd Rom und München als Lebensstationen. Erst Florenz wird zum endlichen Ruhepunkt. Diese Unrast des modernen Zeitalters erscheint programmatisch auf den Reliefs an der Fassade des alten Kunstmuseums in Basel, das an der Stelle eines früheren Augustinerklosters errichtet wurde. Der Museumsbau, der zur Aufnahme sämtlicher Sammlungen der Universität bestimmt war, ist ein Werk des Basler Architekten Melchior Berri. Er befindet sich an der Augustinergasse 2 und ist 1849 eingeweiht worden. Bereits bei dem Fries aus der Mitte des vorletzten Jahrhunderts wird versucht, mit der Bildsprache der Antike der neuen Zeit Herr zu werden. Neben der Stadtgöttin mit ihrem Wappenschild und der Muse der Malerei, von der ein Jüngling den Lorbeerkranz erhält, steigt ein kleines Rauchwölkchen aus dem Schornstein der Eisenbahnlokomotive, der von einem geflügelten Genius mit einer Fackel entfacht werden soll. 

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Kindheit und Jugend in Basel 1827 - 1845

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Romanische Sandsteinfiguren, Flechtwerk am Münster zu Basel

Arnold Böcklin wird am 19.10.1827 in Basel als Sohn des Kaufmanns Christian Friedrich Böcklin geboren.1 Er wächst auf in den engen Gassen einer Stadt, die sich ihren mittelalterlichen Reiz durch Jahrhunderte bewahren konnte. Im Kreuzgang des Münsters ist in der steingehauenen Antiqua der Grabinschriften noch immer die Tradition der Renaissance, das Verständnis für ausgewogene Maße und zielstrebigen Einsatz der bildnerischen Mittel lebendig. Am Nordportal und am Chor hoch über dem Rhein hat sich geheimnisvolles Flechtwerk, absonderliches Getier, Träger dämonischer Kräfte und ein drohend glotzender Bärtiger erhalten. Selbst der bilderstürmerische Calvinismus achtet die uralte Magie dieses Abwehrzaubers. Der Vater Böcklin ist aus Beggingen im Kanton Schaffhausen zugewandert. Er kann das Bürgerrecht erwerben, weil die strengen Aufnahmebestimmungen gelockert wurden. Wegen seiner Verheiratung mit einer Basler Bürgerstochter wird ihm ein Nachlass auf den Kauf städtischer Freiheiten gewährt, die es ihm erlauben, ein eigenes Seidenhandelshaus zu gründen. Der Vater führt zwischen 1826 und 1856 zuerst als selbständiger Firmeninhaber, dann als Partner in Teilhaberschaft einen Band- und Tuchhandel. In den Juradörfern wird die Seidenbandweberei in Heimarbeit betrieben. 2 Die Mutter Ursula entstammt einer alten Bürgerfamilie, die Hans Holbein unter ihre Vorfahren zählt. 3 Im Basler Haus "Zur Mücke" lernt Arnold Gemälde Holbeins kennen, er kopiert zwei Blätter dieses Meisters. 

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Basel hat im Jahre der Geburt von Arnold Böcklin ungefähr 20.000 Einwohner. Die Universität Basel wird 1460 vom Papst Pius II. gegründet , der als Konzilsschreiber Aeneas Sylvius die Stadt schätzen gelernt hatte. Sie wird ein Hauptsitz der humanistischen Gesinnung, welche der Reformation den Weg ebnet. Basel wird Zufluchtstätte für Glaubensflüchtlinge aus anderen europäischen Ländern, besonders aus Italien. Im 15. Jahrhundert blühen Papierindustrie und Buchdruckerkunst auf. Ambrosius und Hans Holbein kommen aus Augsburg. Sie bescheren der Stadt scharf beobachtete Porträtdarstellungen ihrer Zeitgenossen. Sie bringen die Buchillustration zu klassischer Blüte. Der "Totentanz", zu dem der Papst und Kaiser ebenso eingeladen werden, wie der Handelsmann und Bauer kann gedruckt verkauft und nach Hause getragen werden. Es soll an die Vergänglichkeit allen irdischen Lebens gemahnt werden. Die Gleichheit aller Stände im Tode ist für die gegen die umliegenden Monarchien verbündeten Eidgenossen ein ebenso wichtiger Gedanke. In den Holzschnitten, aus der zu Basel im Jahre 1543 erschienen Erstausgabe "Über den Bau des menschlichen Körpers" des Andreas Vesalius erblicken wir den nachdenklich sinnenden "Knochenmann"  in der Sicht eines modernen Anatomen.

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Detail aus : Totenschädel, um 1843, Bleistift, Kreide, aus einer Studienmappe Böcklins Grabplatte im Kreuzgang des Münsters zu Basel Andreas Vesalius, De Humani corporis Fabrica, Abbildung 22, Holzschnitt, Basel, 1543
 
Nach beinahe fünf Jahrhunderten der Selbständigkeit in der Eidgenossenschaft erlebt Basel im Jahre 1798 die Besetzung durch französische Truppen. Die Errichtung der von Frankreich beherrschten "Helvetischen Republik" führt zu einer Beseitigung vieler, aber nicht sämtlicher Feudallasten der Bauern. Ein Bauernaufstand hat die restlose Aufhebung der feudalen Verpflichtungen zum Ziel. Unter französischem Druck und auf Initiative des Oberstzunftmeisters Peter Ochs " muss auch Basel im Jahre 1798 die Revolution durchführen."4 Erst auf dem Wiener Kongress 1815 wird die Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz wieder festgeschrieben. Im Jahre 1830 kommt es in den schweizerischen Kantonen zu Revolutionen. Das Wahlrecht wird weniger eingeschränkt. Überkommene feudale Vorrechte des Patriziats werden in geringem Umfang aufgehoben. Die alten Untertanenverhältnisse "auf der Landschaft", dem "Baselbiet" werden 1831 nur unwesentlich geändert. 1833 verlangen die "radikalsten Vertreter"5 des Basler Umlandes "noch mehr". Es kommt zum bewaffneten Konflikt zwischen Stadt und dem ihr früher unmittelbar gehörenden Untertanengebiet. "Landschäftler Schützen" verfolgen die besiegten Basler städtischen Truppen. Ein "baseltreuer" Ort wird geplündert und gebrandschatzt. Zwei Halbkantone, nämlich Basel-Land und Basel-Stadt werden gebildet. Basel bleibt fortan auf engem Territorium ein kleiner Stadtkanton. Es ist noch umgeben von seinen altertümlichen Wehrgängen, Türmen und Stadtgräben. Im Sommer des Jahres 1832 kommt der erste dampfgetriebene Raddampfer vor der noch aus dem Mittelalter stammenden hölzernen, auf acht Pfosten ruhenden Rheinbrücke an. 1844 wird die erste Eisenbahnlinie eröffnet. Ein Jahr später verlässt der junge Böcklin zum ersten Mal seine Vaterstadt.
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Groteske Fensterbekrönungen am Blauen Haus und am Weißen Haus in der Augustinergasse, dem Wohnsitz der Seidenfabrikanten Lukas und Jakob Sarasin

Arnold Böcklin besucht das Humanistische Gymnasium. Fundierte Kenntnisse der griechischen und römischen Mythologie werden ihm vermittelt. Er wird an der städtischen Zeichenschule bei Ludwig Adam Kelterborn unterrichtet und wird für seine Leistungen mit drei Medaillen ausgezeichnet. Er studiert die ausgezeichnete Basler Holbein-Sammlung. Datierte Ölstudien sind seit 1844, Zeichnungen aus noch früherer Zeit erhalten. Arnold entwirft Illustrationen zu Ludwig Uhlands Gedicht "Schloß am Meere".6  Auf dieses Motiv wird er später mit seinen Bildideen zur "Villa am Meer" zurückkommen. Er genießt einen guten Gymnasialunterricht. Die Firma seines Vaters geht im April 1845 zugrunde. Arnold tritt im selben Jahr gegen den Willen seines Vaters aus der drittobersten Klasse des Gymnasiums aus und begibt sich im Herbst nach Düsseldorf. Dort hat sich neben dem akademischen Lehrbetrieb, welcher der Kontrolle des preußischen Staates untersteht. eine freie Künstlerschaft entwickelt. Sie steht in der Tradition des demokratischen Aufbruchs des Jahres 1830 in bewusstem Widerspruch zur Hofhaltung des Prinzen Friedrich von Preußen. Der Akademiedirektor Wilhelm von Schadow äußert sich programmatisch : "Man kann überhaupt nicht genug Naturstudien machen, sie kommen einem früher oder später immer einmal wieder zu Gute, selbst wenn man sie für den Augenblick scheinbar nicht brauchen kann. Form und Farbe sind die Worte und Sprache, in und mit welcher der Maler dichtet. Je mehr er diese Sprache beherrscht, um so energischer und geistiger wird die poetische Grundidee zur Erscheinung kommen."7

Düsseldorf 1845-1847

Der demokratisch eingestellte Karl Friedrich Lessing begründet die Landschafts- und Historienmalerei an der Düsseldorfer Akademie. Von ihm stammt eine Illustration zu dem Gedicht "Schloss am Meer" von Ludwig Uhland. Lessing malt ein Königspaar in archaischer Monumentalität, das in hoffnungsloser Trauer und Resignation in der Halle seines Schlosses vor dem schwarz verhüllten Sarg der Tochter sitzt. Dieser Aspekt - das endgültige Absterben des Königshauses - der schon von Uhland politisch verstanden wurde, wird nachdrücklich von Lessing herausgearbeitet. Zugleich äußert das Bild pathetisch die Erschütterung über diesen Vorgang von größten historischen Dimensionen. Das persönliche Unglück der königlichen Eltern  wird wiedergegeben als weitreichende Vorbedeutung für die Zukunft der Monarchie. In der Gestalt der schönen Tochter scheint die Dynastie samt ihrem Herrschaftsanspruch selbst hingeschieden zu sein.

Das Schloß am Meere


Hast du das Schloß gesehen, 

Das hohe Schloß am Meer? 

Golden und rosig wehen 

Die Wolken drüber her.

Es möchte sich niederneigen 

In die spiegelklare Flut; 

Es möchte streben und steigen 

In der Abendwolken Glut.



"Wohl hab ich es gesehen,

Das hohe Schloß am Meer,

Und den Mond darüber stehen,

Und Nebel weit umher."

Der Wind und des Meeres Wallen 

Gaben sie frischen Klang? 

Vernahmst du aus hohen Hallen Saiten und Festgesang?



"Die Winde, die Wogen alle

Lagen in tiefer Ruh',

Einem Klagelied aus der Halle

Hört' ich mit Tränen zu."


Sahest du oben gehen Den König und sein Gemahl? 

Der roten Mäntel Wehen, Der goldnen Kronen Strahl?

Führten sie nicht mit Wonne 

Eine schöne Jungfrau dar, 

Herrlich wie eine Sonne, 

Strahlend im goldnen Haar?



"Wohl sah ich die Eltern beide,

Ohne der Kronen Licht,

Im schwarzen Trauerkleide;

Die Jungfrau sah ich nicht."

 
In Düsseldorf studiert Böcklin bis Frühjahr 1847 bei Lessings Schüler Johann Wilhelm Schirmer. Dieser pflegt eine eigenständige Landschaftsmalerei, die nicht mehr allein den Hintergrund für historische Großtaten oder tiefbedeutende Figurenkompositionen abgibt. In seinen Gemälden aus dieser Zeit überwiegt die scharfe Naturbeobachtung. Allegorischer, klassizistischer und romantischer Zierrat wird untergeordnet. Die holländische Nachbarschaft, das Vorbild eines Ruysdael wirkt anregend. Die Schirmersche "Landschaftsklasse" zeichnet in der Umgebung der kleinen Residenzstadt. Bald wird auch Malkasten und Leinwand unter freiem Himmel ausprobiert.8 Allerdings dienen diese Studien nur als Anschauungsvorrat für spätere Arrangements im Atelier. Schirmer schafft direkt vor dem Motiv präzise aufgenommene Landschaften, die nicht ausgestellt werden, weil ein Entrüstungssturm des Publikums gegen seine neue Sehweise zu fürchten ist. Durch eindeutig verständliche Staffagefiguren muss eine allgemein nachvollziehbare Handlung, ein klar entzifferbarer Bildsinn formuliert werden, wenn sich der Betrachter nicht in einer fremden Welt alleingelassen fühlen soll. An die Stelle der mythologisch eindeutig einzuordnenden Gestalten muss ländlich passendes malerisches Volk treten, um die Szene nicht  wüst erscheinen zu lassen. Böcklin reist während des Studiums in die Schweiz und malt im Sommer 1846 die Ansicht von Tenniken im Jura, sowie Studien in den Alpen. Er befreundet sich in der Klasse Schirmers mit dem gleichaltrigen Züricher Metzgersohn Rudolf Koller, der sich der Tiermalerei widmet.
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Johann Wilhelm Schirmer, Meeresbrandung mit fernen Schiffen, 1836 Landschaft, (Gegend bei Baden-Baden), 1854 Alpenlandschaft, 1837

Brüssel und Genf 1847 - 1848

Im Frühjahr 1847 besucht Böcklin mit seinem Malerfreund Koller Brüssel und kopiert alte Niederländer. Er lässt sich von altniederländischen Malern vom Schlage des Rogier van der Weyden beeinflussen. Die Flamen, vor allem Rubens, faszinieren ihn. Die jungen Männer reisen nach Antwerpen. Im August ist Böcklin in Zürich, vom 27. Sept. bis 4. Jan. 1848 in Genf, wo er die Schule des damals gefeierten Schweizer Alpenmalers Alexandre Calame aufsucht. Der Meister hat sich aus einfachen Verhältnissen durch seine Malerei emporgearbeitet. Calame findet seine Motive nicht mehr allein im Berner Oberland. Er kennt Italien, ist mit aktuellen Kunstströmungen in Paris vertraut, blickt auf eine Reise nach Holland zurück, wo ihn die Werke der Niederländer des 17. Jahrhunderts begeisterten. Allerdings vernachlässigt er die Ausbildung seiner Malschüler, gibt ihnen lediglich Reproduktionsstiche seiner Werke als Anschauungsmaterial. Böcklin ist im Spätherbst während des Sonderbundkrieges fast zwei Monate krank. In einer Genfer Pension wird er von Freunden gepflegt. Er vollendet, im Dezember wieder gesund geworden, einige Arbeiten, kehrt nach Basel zurück.

Paris 14.2.1848 - Herbst

Er trifft am 14. Februar 1848 in Paris bei Rudolf Koller ein. Die beiden zeichnen morgens und abends im Aktsaal der Académie Charles Suisse am Quai des Orfèvres, in der Nähe der Pont neuf. Der Nachmittag wird den Studien im Louvre gewidmet. Koller interessiert sich besonders für niederländische Tierdarstellungen. Böcklin bewundert Landschaften von Corot. Die Kompositionen des Franzosen folgen dem klassischen Vorbild Poussins und Claude Lorrains. Ihrer Tradition entsprechend reist Corot dreimal nach Italien. Er verbringt mehrere Jahre im Süden, erfasst die Lichtverhältnisse auf dem römischen Forum, dem Kolosseum. Er untersucht die sonnendurchflutete Atmosphäre der Stadtlandschaft am Morgen in Venedig. Die Gemälde werden von ihm zu dieser Zeit vor dem Motiv begonnen und großenteils auch vollendet. Seine Studien sind vereinfacht und sicher aufgebaut. Sie sind gekennzeichnet durch die Klarheit des freien Lichtes, seine lebendige malerische Handschrift sowie das genaue Erfassen des natürlichen Eindrucks. Corot vereint poetische und wahrheitsgetreue Landschaftsmalerei. Er ist unabhängig vom bräunlichen "Galerieton" der akademischen Tradition, malt in hellen Farben, voller persönlicher Empfindungen. Er ist selbst bei stimmungsvollen Landschaften von idyllischem und lyrischem Charakter realistisch. Viele seiner Werke beziehen ihren Reiz aus dem silbrigen Grauton dämmeriger Tagesstunden. Diese "Paysages intimes" stehen den Landschaften der Schule von Barbizon sehr nahe. Corot wendet als Erster der das Wort «Impression» in seiner vollen Bedeutung an und fordert, daß der Künstler dem unmittelbaren Eindruck folge. Den Impressionisten wird "Vater Corot" ein Vorbild im Sehen der Natur. Böcklin begeistert sich für die Landschaften eines Jules Dupré, der sich mit Théodore Rousseau in Barbizon der Freiluftmalerei verschrieben hat. Mit seinem Freund fertigt er Ansichten aus einer zivilisationsfernen Gegend, aus Landes, einem armen, wüsten und entlegenen Teil Frankreichs, der ganz mit Salzwüsten und Sümpfen bedeckt ist. Böcklin bewundert die dekorativen Figurenkompositionen des gefeierten Historienmalers Thomas Coutoure und die stimmungsvollen Orientlandschaften des Prosper Marilhat.9

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Camille Corot, Bewaldete Felsen "Civitá castellana - Pic Rocheux", um 1826/27, Malkarton, 26,8 x 21,2 cm, Neue Pinakothek, München
Böcklin wird bei seinem Studienaufenthalt in der großen Kunststadt zum Augenzeugen sich rasch beschleunigender historischer Entwicklungen. Die Regierung in Paris verbietet Versammlungen, die Wahl- und Parlamentsreformen zum Ziel hätten. Es kommt zu Demonstrationen. Am 23. Februar finden heftige Kämpfe zwischen dem Volk und königlichen Truppen statt. Tags darauf wird das Rathaus von Aufständischen besetzt. Böcklin hält sich täglich im Stadtzentrum auf, ist folglich dauernd mit der politischen Entwicklung konfrontiert. Böcklin zieht mit dem Volk, das die Marsellaise singt, durch Paris. Um halb acht Uhr findet er sich jedoch pünktlich zum abendlichen Aktstudium ein.10 Am folgenden Tag schließt er sich wieder den Aufständischen an, nimmt aber ein angebotenes Gewehr nicht in die Hand. Er beobachtet, wie der Louvre von Revolutionären erstürmt wird. Er schließt sich an, "um die königlichen Zimmer und all die Pracht zu sehen." 11 Man dringt in die Küche vor, plündert die königliche Speisekammer, bestaunt die königlichen Gemächer mit ihren prachtvollen Sesseln und Diwans, die Bücher, Gemälde und Kupferstiche in den Salons , den Thronsaal. "Jede Kleinigkeit wird betastet, doch alles ganz sorgfältig wieder an seinen Platz gestellt." 12 Das kunstvolle Inventar wird geachtet. Der königliche Wagenpark wird allerdings auf dem Schlosshof in Brand gesteckt und als feuriges Schauspiel herumgefahren. Böcklin und seine Malerfreunde sind begeistert. Er erzählt Jahrzehnte später noch von der Februarrevolution und schreibt noch als alter Mann, "er trinke auf den 24. Februar."13

Die Könige gehen den Bach hinunter, Lithographie, Paris 1848

Die Tuilerien werden von den Aufständischen erobert. Eine zeitgenössische Lithographie zeigt den Jubel, als ein Bärtiger mit Säbel und Trikolore, die Jakobinermütze auf dem Kopf, auf dem Paradebett des Königs triumphiert. Die rote modische Kopfbedeckung des Revolutionärs erinnert an die phrygische Mütze der Galeerensklaven und gilt nun als Symbol der Freiheit. Die wild bewegte Menschenmenge wogt durch den erstmals ungehindert zugänglichen Palast. Auf der stürmischen Brandung der neuen Zeit scheinen die besorgten europäischen Monarchen ihrem Untergang entgegenzutreiben. Der Bürgerkönig Louis Philippe, der wegen seines Verbotes, ihn zu karikieren stets als Birnenkopf dargestellt wird, hat bereits Schiffbruch erlitten. Am 25.2. wird die Republik ausgerufen. Eine provisorische republikanische Regierung unter Lamartine wird gebildet. Böcklin hört eine Rede von Louis Blanc im Rathaus. Die Nationalgarde schließt sich dem Aufstand an. Der König Louis Philippe flieht. Das Recht auf Arbeit wird proklamiert. Nationalwerkstätten werden eingerichtet, um die zahlreichen Arbeitslosen zu beschäftigen. Der Arbeitstag in Paris wird auf zehn Stunden und auf elf Stunden in der Provinz verkürzt. Am 4. März wird das allgemeine Wahlrecht - allerdings nur für Männer - sowie die uneingeschränkte Presse und Versammlungsfreiheit erklärt. Die Sklaverei in den Kolonien wird abgeschafft. Am 16. April wird eine große friedliche Versammlung unbewaffneter Arbeiter von der Nationalgarde auseinandergejagt. Militär wird nach Paris verlegt. Obwohl sein Freund Rudolf Koller, der mit ihm den Wohn- und Arbeitsraum teilt, zurück in die Schweiz reist und obwohl aus der Heimat keine Geldsendungen mehr überwiesen werden können, bleibt Böcklin in Paris.

V. Adam, I. Amout, Der Thronsaal in den Tuilerien, Paris am 24.2.1848, Lithographie

Vom 22. bis zum 26. Juni werden Demonstrationen der Pariser Arbeiter gegen die Auflösung der Nationalateliers zusammengeschossen. 3000 Menschen sterben. 11.000 werden eingekerkert. Politische Clubs werden verboten. Die allgemeine Schulpflicht und Unentgeltlichkeit des Schulbesuchs werden aufgehoben. Die Pressefreiheit wird eingeschränkt. Böcklin muss die blutige Niederschlagung des Arbeiteraufstandes, miterleben. Er wohnt in Nähe des Palais du Luxembourg mit seinem Museum und dem Park. Aus nächster Nähe wird er Augenzeuge einer Exekution..14 "Er sah aus seiner Wohnung Transporte von Gefangenen, die durch das Ende des Luxembourggartens von den Soldaten zum Tod durch Pulver und Blei ins Freie geführt wurden. Das Grauen steigerte sich, als er unter den Unglücklichen mehrere erkannte : es waren einige der jungen Leute, die noch am vorhergehenden Tage mit ihm bei Suisse Akt gezeichnet hatten. Er selbst scheint einmal in höchster Gefahr gewesen zu sein, so dass er über Dächer flüchten musste."15 Der Einundzwanzigjährige leidet noch lange unter den schrecklichen Eindrücken des Gemetzels, die in ihn bis in den Schlaf verfolgen. Muss die Bleistiftskizze und das Gemälde mit dem Leib des leblos hingestreckten Bärtigen allein auf geschnitzte Heiliggrabfiguren, auf Holbeins Beweinung oder sentimentale Gefühle beim Hören des "Miserere" zurückgehen ? Könnten nicht diese Jahre später entstandenen Bilder tief eingegrabene Erfahrungen mit der Niederschlagung des Volksaufstandes in Paris verarbeiten ?

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Der Leichnam Christi, 1866, Bleistift, im Skizzenbuch, Rom/Basel, Studie zum Gemälde "Trauer der Maria Magdalena an der Leiche Christi" Johannes der Täufer, Bleistift

Basel 1848 - 1850

In der Schweiz wird im Jahre 1848 eine neue Bundesverfassung in Anlehnung an die nordamerikanische Verfassung beschlossen. Ein Zweikammersystem aus Bundesversammlung und Bundesrat mit einem jährlich wechselnden Bundespräsidenten wird eingeführt. Böcklin arbeitet vom Herbst 1848 bis Februar 1850 wieder in Basel. Aus dieser Zeit stammen die ersten Kompositionen, die etwas von dem für ihn später so charakteristischen Stimmungsausdruck verraten. Das phantastisch Visionäre wird mit realistisch Darstellungsweise verbunden. Bei der "Mondlandschaft mit Ruine" sprengt ein verschatteter Reiter einher, während am rötlich dämmerigen Himmel gräuliche Wolkenfetzen jagen. Jenseitig und unwirklich bricht das Mondlicht in die düstere Szene. Ein ruiniertes Bauwerk mit leeren Fensterhöhlen wird unversehens von kalkigem Schein erhellt, der die Finsternis im umgebenden Wald um so bedrohlicher erscheinen lässt. Es entstehen dumpffarbig gehaltene stimmungsvolle Landschaften, meist mit Motiven aus den Alpen, wie "Felsschlucht im Mondschein". Im Basler Museum befinden sich aus dieser Zeit die "Gemsen am Gebirgssee" und der "Wasserfall". Der Freund Jacob Burckhardt rät dem in die Tochter eines begüterten Küfers unglücklich verliebten Böcklin zu einer Reise nach Rom.

Rom 1850 - 1857

Die "Ewige Stadt" ist nach dem Einmarsch Napoleons 1798 für kurze Zeit Republik. Der Papst wird als Gefangener nach Frankreich geführt. 1809 wird Rom zum zweiten Mal von Napoleon besetzt. Der neue Papst Pius VII. wird wieder nach Frankreich in Gefangenschaft geführt. Rom ist von 1809 bis zum Ende der napoleonischen Herrschaft 1814 mit Frankreich vereinigt. Die Bewegung von 1848 lässt hier 1849 für kurze Zeit eine Republik entstehen. Der Papst muss nach Gaeta flüchten. Die österreichischen Besatzer werden aus Oberitalien vertrieben. Im April 1849 schickt der französische Präsident Louis Napoleon Bonaparte Truppen nach Rom unter dem Vorwand, Piemont im Kampf gegen Österreich zu helfen. Wahres Ziel ist die Intervention gegen die römische Republik, gegen Garibaldi. Am 30. Juni siegen die päpstlichen Truppen auf dem Gianicolo gegen eine kleine Schar, welche die römische Republik verteidigen will. Am 3. Juli wird die Wiederherstellung der weltlichen Macht des Papstes durch französische Truppen erreicht. Noch 1899 rechnet Italien "nach dem französischen Münzfuße"16 .

Landschaft bei Sonnenaufgang, 1850

In Rom erreicht den dreiundzwanzigjährigen Böcklin die Nachricht vom Tode seiner Geliebten. Im Jahre 1850 kommt er unter den Einfluss des wenig älteren Franz Dreber, eines Schülers von Ludwig Richter. Dreber lebt zusammen mit zwei deutschen Bildhauern, Heinrich Gerhardt und Gustav Kaupert, an der Passeggiata di Ripetta 35. Der alte Hafen Roms, die Ripetta liegt auf der Höhe der heutigen Ponte Cavour. Hier wird Bauholz und Brennmaterial angelandet. Die Häuser am Tiberufer stehen wild verschachtelt auf der Aurelianischen Stadtmauer. Stellenweise türmen sich fünf Stockwerke auf den antiken Fundamenten, an denen sich der ockerfarbene Fluss vorbeiwälzt.. Im ersten Jahre seines Romaufenthalts erleidet Böcklin einen Fieberanfall. In den tiefer gelegenen, sumpfigen Gegenden Latiums wird die Malaria von Mücken übertragen. Horace Walpole schreibt 1740 über "eine schreckliche, "mal'aria" genannte Sache, die jeden Sommer nach Rom kommt und einen umbringt".17 Böcklin verbringt folglich mit Dreber die Sommermonate im bergig luftigen Olevano. Er lernt mit ihm zusammen Subiaco und Tivoli kennen. Man unternimmt Ausflüge nach Ostia, Prattica und Ardea. In Rom ist es üblich, unter freiem Himmel zu malen, mit seinen Utensilien hinaus in die Campagna zu ziehen. Dreber ist in der klassizistischen Tradition aufgewachsen. Er malt meist mit mythologischen oder biblischen Staffagefiguren belebte Landschaften. Böcklin unternimmt sehr eingehende Naturstudien mit Blei und Feder, von denen viele erhalten sind. Er findet, man "sollte überhaupt Studien nur machen, um das Wesen der Sache zu ergründen und um ihrer Form und Charakteristik aufmerksam nachgehen zu können; nachher solle man sie aber nicht wieder ansehen."18

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Detail aus : Huflattichblätter, um 1848/49, Bleistift Böcklins Profil, 1893, Bleistift,  Studie zum Gemälde "Selbstbildnis im Atelier"

Böcklin schließt Freundschaft mit dem neubarock gestimmten, aus Berlin gebürtigen Bildhauer Reinhold Begas. 1852 trifft er Paul Heyse wieder in Rom. Seit seiner Jugend ist Böcklin befreundet mit Jacob Burckhardt. Der Kunsthistoriker stellt das Gemälde "Felsabhang im Albanergebirge" in Basel aus und bittet den Bürgermeister Sarasin, ein weiteres Bild bei Böcklin zu bestellen. 19 Burckhardt erwirbt 1852 von Böcklin ein Gemälde und zwölf seiner schönsten Zeichnungen, die dieser aus Italien mitgebracht hat. So ermöglicht er ihm einen weiteren Aufenthalt in Rom. Er vermittelt dem Freund die Ehe zu der siebzehnjährige früh verwaisten Tochter eines Schweizergardisten. Böcklin heiratet im Juni 1853. Burckhardt fungiert als Trauzeuge. Angela Pascucci stammt aus einer gut bürgerlichen Familie. Die anfangs weichen und milden, später strengen und stolzen, fast monumentalen Gesichtszüge seiner Gattin mit der wuchtigen Kinnpartie kehren bei Nixen, Göttinnen, Heiligen, Allegorien immer wieder. Böcklins Gemälde bevölkern sich mit den Gestalten des antiken Mythos und der Sage, wie sie auf den römischen Brunnenanlagen allgegenwärtig sind. Griechische Göttern, Nymphen, Pane, Faune, Tritonen, und Kentauren scheinen aus der barocken Plastik in die idyllischen, schattigen, oder feuchten Landschaften zu schwärmen. Die Figuren dienen nicht mehr als Staffage. Sie sind Ausdrucksmittel. Die Kompositionen entstehen schon in der ersten römischen Zeit mitunter vollständig oder zu überwiegenden Teilen aus der Erinnerung.

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Am 24. April 1855 stirbt Böcklins Sohn Federigo an der Cholera. Das krankheitserregende Bakterium wird indirekt verbreitet. Es wird aufgenommen durch fäkalische Verunreinigungen des Trinkwassers und der Nahrung. In den schnell aufschießenden Großstädten, in denen noch keine Wasserleitungen und keine Kanalisation angelegt wurden, vermischen sich verseuchte Abwässer mit dem lebensnotwendigen Trinkwasser. Kloaken und primitive Pumpbrunnen liegen oft in unmittelbarer Nachbarschaft. Die Krankheit beginnt mit einer heftigen Durchfallerkrankung. Infolge der Eindickung des Blutes wegen des Verlustes an Körperflüssigkeit, wird der Puls schwächer und ist schließlich nicht mehr tastbar. Das Gesicht der Kranken erscheint eingefallen, läuft bläulich an, Im weiteren Krankheitsverlauf kommt es zu Muskelkrämpfen, schließlich zum Schock durch heftigen Blutdruckabfall, der zum Tod führt. Böcklin erklärt die Krankheit, wie in seiner Zeit üblich durch einen Pesthauch, wie er aus dem geöffneten Maul des Drachens auf dem später im Zusammenhang mit der Münchner Choleraepidemie entstandenen Gemäldeentwurf strömt. Stinkende Wasserlachen, die in den Straßengräben der Vorstädte die Gegend verpesten, werden als krankheitserregend verdächtigt. Der Gestank in schmutzigen Hauswinkeln, verpestete Hoflöcher, übelriechende Senk-, Mist- und Odelgruben, faulig  feuchte Mauern stehen im Rufe, todbringende Miasmen auszudünsten, welche die Luft verunreinigen und das Leben ersticken. Die Familie Böcklin lebt in großer Armut. Im Sommer des Jahres 1856 erkrankt die Tochter Clara an der Ruhr. Böcklin gelangt im kleinen römischen Kreise, zu dem auch Feuerbach und Begas gehören, zu Ansehen. Er hofft, sich auch in der Heimat durchsetzen zu können.

Cholera-Opfer, Pinsel in Schwarz, weiße Kreide auf rötlichem Papier, 26,8 x 42,9 cm, 1876, Entwurf für ein Gemälde "Die Cholera"

Basel 1857 - 1858

Vom Frühjahr 1857 bis Anfang 1858 ist Böcklin in Basel. Er verbringt einige erfolglos in seiner Vaterstadt, richtet sich ein Atelier ein, schöpft aus der Erinnerung an Rom. Er wohnt bei seinem Bruder Werner. Er findet keinen Gönner, keine Ausstellungsmöglichkeiten, keine Porträtaufträge, hat aber eine Familie zu ernähren. Im Sommer 1858 malt er für einen Konsul Wedekind in Hannover einen Speisesaal aus, muss sich aber das Honorar durch einen Prozess erst erkämpfen.

München 1858 - 1859

Die Familie Böcklin übersiedelt am 7. September 1858 nach München in die Schommergasse 13 im Rückgebäude20 im Hause des Privatiers Josef Maier unweit der Protestantischen Kirche. Östlich des Bahnhofs, angrenzend an zwei Brauereien stehen dicht gedrängt Mietskasernen, die sich um enge Innenhöfe gruppieren . Zur Wohnsituation berichtet der Engländer Edward Wilberfforce im Jahre 1863 in seinem Buch "Social Life in Munich" : " Schon seit einiger Zeit übersteigt in München die Nachfrage nach Wohnraum das Angebot, und die üblichen Folgen eines unterversorgten Marktes sind entstanden. Die Mieten stiegen überproportional im Verhältnis zu anderen Preisen; Hausbesitzer wurden unverschämt und tyrannisch; Spekulanten haben schlechte Gebäude hochgezogen und unmoralisch hohe Gewinne gemacht; und Familien waren allen ausgeliefert : den Mieten, den Hausbesitzern und den Spekulanten."21 Die Zunahme von Industrie, Gewerbe und Handel bewirkt die Verfünffachung der Einwohnerzahl Münchens zwischen 1830 und 1890. 22

 
Ein königlicher Medizinalrat stellt fest : "durch die enorme Steigerung der Miethpreise werden die Menschen zusammengedrängt, leiden daher besonders durch epidemische Krankheiten in höherem Maasse."23 München gilt als Typhusherd.24 Erst im Jahre 1858 wird der Bau undurchlässiger Abortgruben in München befohlen.25 Zwei- bis dreihundert Menschen sterben jährlich an den Folgen verunreinigten Wassers und verdorbener Lebensmittel. Böcklin erkrankt mit zwei Kindern am Typhus. Die Krankheit wird durch Salmonellen verursacht. Er äußert sich durch dauerndes Fieber, Kopfschmerzen, Husten, Verdauungsstörungen, Bauchschmerzen und empfindliche Schwächezustände. Die Familie Böcklin gerät in äußerstes Elend. Drei Tage nach Weihnachten stirbt der Sohn Robert.26 Der Sterbefall wird wie die Geburt des Sohnes Ralph in der Matrikel der Pfarrei St. Bonifaz verzeichnet.

Im März des Jahres 1859 wird der noch unvollendete "Pan im Schilf" im Münchner Kunstverein ausgestellt. Er erregt großes Aufsehen. Böcklin hat genau verfolgt, wie das Sonnenlicht durch das windbewegte Schilf auf dem feuchten Boden spielt. Er findet, sich "den Lichtgang des Bildes überlegen, müsste das Erste sein."27 Das bayerische Königshaus erwirbt das Bild für die Neue Pinakothek. In München zeichnet sich ein Erfolg ab. Böcklin erweckt Staunen und Bewunderung mit seinem natürlich frischen, sommerlich freundlichen Schattenidyll. Das Gemälde vom ungezwungenen Leben in der freien Natur wird hoch geschätzt wegen des bewegten Spiels von Licht und Schatten. Es scheint durch die duftige Wiedergabe der Farben den Impressionismus vorwegzunehmen. "Pan, der einen Hirten erschreckt" und die "Jagd der Diana" finden Anklang. Der Schweizer Landschaftsmaler erntet  Beifall  in den Kunstkreisen der bayerischen Residenzstadt. Er wird durch den aus Rom befreundeten Paul Heyse dem Kunstsammler Adolf Friedrich von Schack vorgestellt. Der Graf fördert auch Anselm Feuerbach, den Böcklin aus seiner Düsseldorfer Studienzeit kennt und Hans von Marées.
 
 
Im Herbst verziehen die Böcklins in die nahe gelegene Singstraße 20, die heutige Schillerstraße.28 Hausbesitzer ist der Schlossermeister Theodor Gesling. Im Januar 1860 wird der Sohn Ralph geboren. Er verstirbt am 1. November. Die unglücklichen Veränderungen in der Familie des Fremden werden in der Matrikel der Pfarrei St. Bonifaz verzeichnet. Die ungesunden Lebensverhältnisse in den unteren Einkommensklassen lassen Atemwegserkrankungen, Infektionen, Ansteckungen mit Parasiten, Verletzungen, Vergiftungen, angeborene Missbildungen und Geburtsschäden zu tödlichen Gefahren werden. Die Kindersterblichkeit hängt ab von der Lebensumwelt, besonders von den hygienischen Verhältnissen und der medizinischen Versorgung. Sie tritt besonders bei den Menschen mit niedrigem Einkommen auf.29 Sie ist am größten bei Vätern, die wenig verdienen. Die Höhe des Familieneinkommens bestimmt die Überlebenswahrscheinlichkeit von Säuglingen und Kleinkindern.

Weimar 1860 - 1862

Böcklin erhält mit Begas und Lenbach einen Ruf nach Weimar und wirkt vom Herbst 1860 bis Herbst 1862 an der dortigen Kunstschule. Er tritt als Lehrer für Landschaftsmalerei in die Dienste des Großherzogs Carl Alexander von Sachsen-Weimar. In die Weimarer Zeit fallen die ersten bedeutenderen Bildnisse und Versuche in plastischen Arbeiten. Bei seinem "Dudelsackpfeifer" führt der Maler eine wohlüberlegte Lichtregie. Das in der steigenden Diagonalen von rechts bei tiefem Sonnenstand einströmende Licht teilt das Format in zwei Helligkeitszonen. Einzig die verschattete Figur des bäurischen Musikanten ragt dunkel in den von strahlenden Wolken durchzogenen Himmel. Das vor ihm aufragende Gebüsch bietet Gelegenheit, die Farbigkeit von Schatten im direkt einfallenden Freilicht, in der indirekten Beleuchtung aus der tiefer liegenden Wiesenpartie und im durchleuchtenden Widerschein des Laubwerks malerisch zu untersuchen. Die Pinselschrift wirkt leicht bewegt, modelliert plastisch das bewachsene Gelände, schafft räumlichen Eindruck in zahllosen Überschneidungen.

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Arnold Böcklin, Der Dudelsackpfeifer, um 1861, Neue Pinakothek, München

Rom 1862 - 66

Vom Herbst 1862 bis 1866 weilt Böcklin wieder in Rom. Er besucht zum erstenmal Neapel und Pompeji. Er erhält dort von den Resten antiker Malerei einen Eindruck, der bestimmend auf seine Technik und seine Kunst wird. Es beginnen seine Versuche in Wachsfarben. Raffaels Fresken im Vatikan beeindrucken ihn tief. Er erlebt die Ausgrabung der Statue des "Augustus von Primaporta", die noch Spuren der originalen farbigen Fassung aufweist. Der Graf Schack sieht in Böcklins Atelier die Ölskizze der "Villa am Meer". Er bestellt ein großes Landschaftsbild dieses Themas. Zwischen 1864 und 1865 entstehen die beiden weiteren Fassungen. Das Motiv des "Schloß am Meere", wie es von dem populären Dichter Uhland besungen wird, beschäftigt Böcklin seit seinen Jugendjahren. Er kennt sicher das Gemälde von Karl Friedrich Lessing zu diesem Thema aus seiner Studienzeit in Düsseldorf.. Maler wie Dichter stehen dem "Fürstenthron" kritisch gegenüber. Die düsteren, schaurig schönen Bilder, die sie entwerfen, werden in ihrer Zeit verstanden als utopische Vorbedeutung nach dem tragischen Scheitern demokratischer Hoffnungen.

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Villa am Meer, Entwurfsskizze, 1863, Neue Pinakothek, München
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Villa am Meer I, Leinwand 125,2 x 174,7 cm, 1864, Schack-Galerie,  München

Böcklin leitet den Blick entlang dem felsigen Strand in eine nur ausschnittweise angedeutete Ferne. Dem freien Spiel der Wellen steht die verwilderte, parkartige Szenerie entgegen, über die sich eine Halle mit ionischen Säulen und eine stattliche Zypressengruppe erhebt. In jeder der drei Fassungen wird der Schattenwurf durch das dichte Geäst auf die antikisch gefügte Architektur  unterschiedlich wiedergegeben.1863 streift das Licht bei starkem Sonnentiefstand vorne an die Säulentrommeln, bricht sich an der für den Betrachter unsichtbaren Wand und erhellt indirekt von unten kommend den Plafond des Gebäudes und die einwärts gekehrten Säulenflächen. Auf dem Architrav spielt direktes Sonnenlicht, das auf seinem Weg durch die Pflanzen lebendig moduliert wurde. In der folgenden Bearbeitung des Motivs wird diese Beleuchtungssituation kontrastreicher behandelt, der Gedanke des indirekt wirkenden Lichtes vernachlässigt. Im Gemälde aus dem folgenden Jahr werden diese Momente des unmittelbaren Lichteinfalles zugunsten einer neuen Stimmung aufgegeben. Nach dem Untergang der Sonne bleibt der Himmel indirekt erleuchtet. Diese Zeitspanne bis zum Einbruch der Dunkelheit interessiert Böcklins Zeitgenossen. In der Zeit schnell abnehmender Helligkeit müssen die Arbeiten im Freien aufhören. Die "bürgerliche Dämmerung" wird von der noch sternenlosen Finsternis abgelöst. Der Physiker J.C. Poggendorf schreibt in seinen "Annalen der Physik und Chemie" im Jahre 1864 :

Sobald die Sonne unter den Horizont herabgesunken ist, erhebt sich am Osthimmel der aschfarbene (so glaube ich die Farbe richtiger bezeichnen zu können als mit dem Worte "blau" wie sonst üblich ist) Erdschatten in der Gestalt des von Le Mairan zuerst beschriebenen dunklen Segmentes. Dieses dunkle Segment scheint sich will förmlich über den purpurnen Theil des Himmels heraufzuschieben, so dass dieser einen zusehends schmäler werdenden Gürtel, den ersten Östlichen Dämmerungsbogen oder die erste Gegendämmerung bildet. Da der obere Theil dieser hellen Zone keine oder nur eine sehr geringe Bewegung nach oben ausführt so wird sie früher oder später vollständig von dem dunklen Segment verdrängt gleichsam überdeckt, je nachdem sie sich bis zu einer geringeren oder größeren Höhe erstreckt hatte. Sobald das dunkle Segment nicht mehr durch diesen helleren Gürtel von dem darüber ausgebreiteten bereits ziemlich dunklen Himmel getrennt ist, kann seine Gränze nicht mehr wahrgenommen werden, höchstens unterscheidet sich der dem Segment entsprechende bogenförmige Raum durch seinen aschfarbenen Ton von den höheren Theilen des Himmels. 

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Villa am Meer II, Leinwand 123,4 x 173,2 cm, 1865, Schack-Galerie, München
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Im Juli 1866 stirbt Böcklins Sohn Maurizio an der Ruhr, einer blutigen mit inneren Entzündungen verbundenen Durchfallerkrankung, die durch Amöben oder Bakterien ausgelöst wird. Wieder hat eine Infektionserkrankung ein junges Leben in der Familie Böcklin ausgelöscht. Die sanitären Verhältnisse in der rasch aufschießenden Großstadt, die sich zum italienischen Machtzentrum entwickeln soll, halten nicht Schritt mit dem sprunghaften Bevölkerungszuwachs. Das alte Heiliggeistspital steht noch immer zwischen der Peterskirche und dem Tiber, der die ungeklärten Abwässer aufnehmen muss. Chaotisch türmen sich verschachtelte Bauten des Flusses entlang des alten Hafens und gegenüber der Engelsburg. Der neue Nationalstaat beansprucht seinen Platz im europäischen Machtgefüge. Italien verbündet sich mit Preußen gegen Österreich. Die Familie Böcklin flieht wegen des Krieges zwischen Italien und Österreich in die Schweiz.
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Ettore Roesler Franz, Tiberüberschwemmung

Basel 1866 - 1871

Vom Herbst 1866 bis zum Juli 1871 arbeitet Böcklin wieder in Basel. Hauptwerke dieser Zeit sind die "Pietà", die Fresken im Sarasinschen Gartenhause aus dem Sommer 1868. Sie sind Probestücke für einen größeren Auftrag, den Jacob Burckhardt vermittelt. Der "Gang nach Emmaus" gibt für die Münchner Galerie des Grafen Schack in Ölmalerei wieder, was für den Basler Ratsherren Karl Sarasin-Sauvain als Fresko entstand. Wieder steht die Sonne tief, lässt den hoch gelegen Ort verlockend erstrahlen, zu dem die drei Vordergrundsfiguren streben. Jesus hat sein Grab verlassen und gesellt sich unerkannt zu Thomas und einem anderen Jünger namens Kleopas. Der Evangelist Lukas vermerkt : "Doch sie waren mit Blindheit geschlagen, dass sie ihn nicht erkannten." Während die Männer dem Dorf außerhalb Jerusalem zueilen, um noch vor dem Hereinbrechen der Finsternis sicher anzukommen, stellt der Fremde merkwürdige Fragen. Er scheint von der neuesten Hinrichtung in der Stadt nichts erfahren zu haben. Erst beim gemeinsamen Abendmahl wird die Erscheinung des Erlösers verstanden. "Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten ihn.

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Der Gang nach Emmaus, 94 x 139,5 cm, 1870, Schack-Galerie, München

Die Wandmalereien im Treppenhaus des Museums beschäftigen Böcklin zwei weitere Jahre. Er will an den Wänden der Treppenabsätze die Elemente von Wasser, Erde und Luft in großen allegorischen Kompositionen darstellen. Für die lebensnahe Darstellung der Tritonen, welche die Wassergöttin emporstemmen, benutzt er keine Modelle. Er beobachtet sich selbst im Spiegel. Am 10. Juli 1869 werden zwei  Kartons der "Kunst-Commission am Museum" zur Begutachtung vorgelegt: Das Sitzungsprotokoll vermerkt : "1. Die Composition der 'Flora' wird angenommen. In Betreff der unteren weibl(ichen) Figur links wird grössere Lieblichkeit gewünscht. 2. In Betreff des 'Apoll' will sich die Commission dem Wesentlichen des jetzigen Entwurfs nicht widersetzen, hat aber einige Bedenken und würde den Künstler nicht bei dem Einzelnen, so wie es jetzt vorliegt, festhalten. Hauptbedenken: die unteren Extremitäten der Pferde, welche vielleicht besser durch Nebelwolken verdeckt würden."

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Aus dem Sitzungsprotokoll vom November 1869 geht das Befremden hervor, mit dem die "Commission" dem beauftragten Freskanten begegnet. "Hr. Böcklin ist im Begriff, das 3te Bild im Treppenhaus auszuführen, ohne, wie es die Meinung der Commission war, einen neuen Carton vorzulegen." Jacob Burckhardt versucht vergebens, seinem Freund Böcklin zu künstlerischer Freiheit zu verhelfen : "Hr. Prof. (Jacob) Burckhardt referiert über die Geschichte der Entwürfe, betont namentl., dass Hr. Böcklin das 2te und 3te Bild in gegenseitiger Besprechung zueinander gemalt, so dass er jetzt, nachdem das 2te ausgeführt, auf eine Änderung des 3ten nicht mehr eingehen werde." Im Verlauf der Arbeiten an den Treppenhausfresken verliert Böcklin die Freude an der mit Begeisterung in Angriff genommenen Malerei. Er hat es satt, sich andauernd in einzelnen Gestaltungsfragen von sachverständigen Kunstfreunden dreinreden und korrigieren zu lassen. 

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Die Auseinandersetzung über die Gestaltung des Apollo auf seinem Sonnenwagen entzweit den Maler und den Kunsthistoriker. Die Masken der Medusa, des Kritikers und des grölenden Dummerlings werden in Basel als Ausdruck der undankbaren Auflehnung gegen den Freund und Förderer übel vermerkt. Die Sandsteinmasken an der Kunsthalle stammen aus dem Frühjahr 1871. Sie verursachen einen Skandal. Einzelne Bürger glauben, sich in ihnen zu erkennen. Andere vermuten eine Gotteslästerung, weil die Fratzen auf eine benachbarte Kirche schauen. Böcklin ist in Basel isoliert. Er wendet er sich ab von den vielfältigen, genauen Lichtbeobachtungen des Impressionismus. Das ehemals zarte und duftige Kolorit verdüstert. Die nuancenreiche Ölmalerei verliert an Bedeutung. Naturstudien werden selten.

 
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Böcklin fährt im Mai 1870 nach Paris, um eine Ausstellung vorzubereiten. Im Juli erfolgt die französische Kriegserklärung an Preussen. Im Sommer übersiedelt die Familie Böcklin von Basel nach München. Möglicherweise im September 1870 malt Böcklin das "zerstörte Haus" bei Kehl, bei dem im Hintergrund der Straßburger Münsterturm zu sehen ist. Im deutsch-französischen Krieg 1870/71 bleibt die Schweiz neutral. Böcklin wird mit dem Grauen des modernen Krieges konfrontiert. Nach der Kapitulation Straßburgs vor den anrückenden deutschen Truppen malt er die Spuren eines Artillerieangriffes auf ein Wohnhaus. Von einer Anhöhe blickt er auf wirr gestürzte, rußige Baumstämme, die den französischen Verteidigern als Brustwehr gedient haben könnten. Bei rückwärtigem Sonnenlichteinfall über seine linke Schulter sieht der Maler einen zerschossenen Baum, der seinen Schatten auf die gekalkte Wand eines Hauses wirft, von dem nur noch das Erdgeschoss steht. Im Hintergrund ragt vor tiefhängender schwärzlicher Wolkendecke das verschont gebliebene Straßburger Münster. Böcklin verfolgt die Blickrichtung der deutschen Angreifer. Im Winter 1870/71 wird er als Landwehrsoldat der 1. Infanteriekompanie eingezogen. Er dient bei Entwaffnung und Internierung der in die Schweiz übertretenden französischen Bourbaki-Armee.
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In den Masken des Kunsthausrestaurants, nahe beim Tinguely-Brunnen, grimassiert der wilde Mann, wie er als zotteliger Waldbewohner mit Laubkranz und Keule durch die Fastnacht tollt. Derbe Nasen, fliehende Stirnen, aufgeworfene Lippen, wuchernder Haarschopf und wallender Bart werden  voll überschäumender Erzähllust ausgearbeitet. Die Gesichtszüge sind teils karikierend überspitzt herausgestellt, teils abenteuerlich verformt. Der ganze Schädel scheint in Bewegung zu geraten. Nirgends ist die Verformung willkürlich. Die Verzerrung wird bei allem Witz nicht bösartig, oder furchterregend. Ein gutmütiger Urmensch verkündet den überzivilisierten Städtern kernig und überplastisch die Botschaft vom einfachen, naturhaften Leben.

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München 1871 - 1874

Die Begegnung mit den Verwüstungen des Krieges wird zu einer herbstlichen Nachtszene verarbeitet. Wie auf dem Schlachtfeld des deutsch-französischen Krieges ragt eine frei stehende, grell weiße Hauswand in den verfinsterten Himmel. Die Ansatzstellen einer Zimmerdecke und zerbrochenes Mauerwerk lassen auch hier an die Einwirkungen kriegerischer Gewalt denken. Durch die leere Fensterhöhle fällt der Blick auf tintiges Nachtblau. Ein schräg einfallender Lichtstreifen beleuchtet gespenstisch den Schauplatz, über den der Herbstwind fegt. Das aufgewirbelt tanzende Laub beginnt im blendenden Schein einer nicht feststellbaren Lichtquelle überdeutlich zu leuchten. In der Mitte und am linken Bildrand trifft die unwirkliche Beleuchtung auf von fern aufziehende Nebelfetzen. Mit dem Herbstwind sprengt von rechts ein schwarzer, unheilverheißender Reiter.

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Der Ritt des Todes, (Herbst und Tod), 79 x 136,5 cm, 1871, Schack-Galerie, München

Vom Juli 1871 bis Herbst 1874 erlebt Böcklin einen glücklichen Aufenthalt in München. Als Zweck seines Aufenthaltes gibt er auf der polizeilichen Anmeldung "Kunst" an. Er wohnt mit seiner Gattin und fünf Kindern in einer besseren Wohngegend, in der Briennerstraße 35.30 Sein Atelier befindet sich in einem nahe gelegenen Hinterhaus in der Arcisstraße. Er arbeitet mit Lenbach zusammen. Er tritt in ein freundschaftliches Verhältnis zu Hans Thoma. Er hat mit seinem "Kentaurenkampf" Erfolg auf der Weltausstellung 1873 in Wien, wird Ehrenmitglied der Münchner Kunstakademie. Er beginnt auf jüngere zu wirken, entzweit sich mit Lenbach. Es entsteht eine lange Reihe von Meerbildern, sowie die Darstellungen, zu denen Ariosts "Orlando furioso" die Anregung gibt. Hauptwerke wie "Kentaurenkampf", die "Pietà" in Berlin, der "Überfall von Seeräubern", das Wandbild auf Leinwand mit Ceres und Bacchus, "Meeresidylle" der Schack-Galerie, auch "Selbstbildnis mit dem Tode" in Berlin und "Muse des Anakreon" in Aarau werden in dieser Zeit geschaffen.

 
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Die sterbende Kleopatra, 1872, Leinwand, 76 x 61,5 cm, mit einem von Böcklin entworfenen Rahmen, Kunstmuseum Basel 

Böcklin genießt seine malerischen Fertigkeiten. Der zarte Schleier, der die "Sterbende Kleopatra" umfließt, darf am Bildrand kein Ende finden. Im Gemälderahmen noch muss sich das üppig Gerundete der ägyptischen Königin, der raffiniert schimmernde Luxus des sie umgebenden hauchfeinen Gespinstes fortsetzen. Ein  hartes, gnadenloses Tageslicht fällt von links in das düstere Geschehen. Es gibt den Blick frei auf einen Halbakt, der in wenigen Andeutungen . das Bild der Kleopatra als eines schönen, schwelgerischen und verschwenderischen Weibes bestimmt. Der Biss der heiligen Uraeus-Schlange in der Bildmitte, eines Boten des Gottes Râ soll der ägyptischen Königin nicht nur den Tod bringen. Die letzte Herrscherin aus ptolemäischem Geschlechte will sich nicht einfach der Schmach entziehen, im Triumphzug des Oktavian durch das feindliche Rom geführt zu werden. Durch den Biss des Reptils, das als Sinnbild königlicher Würde auf dem Kopfschmuck der Königin prangt, will sie ihre Vergöttlichung und Unsterblichkeit retten. Die Goldauflage der verwirrend bewegten Schnitzerei sendet ihr feierliches Leuchten in die Finsternis der Verzweiflungstat. Der Schleier begleitet den Übergang von der verführerisch durchscheinend gegenwärtigen Leiblichkeit zur jenseitig golddurchwirkten Apotheose, die in der umgebenden goldgefassten Schnitzerei gefeiert wird. 

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Detail aus : Kentaurenkampf, 1873, Leinwand, 105 x 195 cm, Kunstmuseum Basel Detail aus : Idylle, 1875, Leinwand, 62,7 x 50,2 cm, Neue Pinakothek, München

Im "Kentaurenkampf", der im folgenden Jahr entsteht, setzt sich Böcklin mit einem männlichen Mythos auseinander. Die der griechischen Sage nach in Thessalien lebenden Kentauren werden als Vertreter der wilden, naturhaften Kraft, des Lasters oder der Wollust gesehen. Sie werden als Menschen mit am Rücken angewachsenem Pferdekörper dargestellt. Bei der Hochzeit des Königs Peirithoos, des Herrschers der benachbarten Lapithen versuchen sie, die Frauen ihrer Gastgeber, besonders die Braut Hippodameia zu rauben. Aus dem gemeinsamen feierlichen Mahl wird blutiger Streit, in dem die zügellosen Kentauren unterliegen. Für den arkadischen Hirtengott Pan kennt die Legende eine weitere, melancholische Weise des Umgangs mit dem anderen Geschlecht, die Böcklin in mehreren Gemälden beschäftigt. Der Fruchtbarkeitsgott, der die christlichen Vorstellung vom Teufel beeinflusst mit seinen Ziegenhörnern und den Bocksbeinen, versucht vergeblich die Nymphe Syrinx zu fangen. Diese flieht in "panischer" Angst. Sie wird auf ihr Flehen hin in Schilf verwandelt. Ovid berichtet in seinen "Metamorphosen" über die verschmähte Liebe, die Pan zur Erfindung einer nach dem entschwundenen weiblichen Wesen benannten Hirtenflöte bringt:

...

wie da Pan, der Syrinx schon meinte gefangen zu haben, 

statt eines Nymphenleibes nur Schilf in Händen gehalten. 

Wie dann der Wind, indes der Gott dort seufzte, das Röhricht 

streichend, erzeugt einen Ton von zartem, klagendem Klange, 

und wie der Gott, berückt von der neuen Kunst und der Stimme 

Süße, gerufen: Dieses Gespräch mit dir wird mir bleiben!

 

Im Winter 1873 grassiert in München die Cholera. Der Akademiedirektor Wilhelm von Kaulbach fällt dieser Krankheit zum Opfer. Im Verlauf der Epidemien, die seit 1830 über Europa hereinbrechen, endet in der Regel die Hälfte der Erkrankungen tödlich. Die grassierende Seuche kostet bei besonders ungünstigen Bedingungen mitunter zwei Drittel der Angesteckten das Leben. 31 Eingeschleppt aus Indien durch Persien, die Kaspische See nach Russland, verbreitet sich die tödliche Gefahr über Polen, Baltikum nach Deutschland und England. Im Februar des übernächsten Jahres ist nach Berlin, Wien, und Hamburg die Metropole Paris betroffen. 1849 wird der Beschreibung mikroskopischer Beobachtungen von Choleraerregern noch keine nähere Aufmerksamkeit geschenkt.32 Die Ansteckung durch das Wasser gilt als unwahrscheinlich. Drastische Quarantänemaßnahmen werden erwogen in der Hoffnung die "indische Brechruhr" in überfüllten Armenviertel eindämmen und am Übergreifen auf vornehme Stadteile hindern zu können. Aus Angst vor sozialen Unruhen wird eine neue Theorie propagiert, nach der "es gewissermaßen von einem selbst abhängt, ob man die Cholera bekommen will, oder nicht."33

Das Barfußgehen, Obstessen, der Schmalznudelverzehr, das Herumwaten in der Isar werden für den Krankheitsausbruch verantwortlich gemacht. Ein Arzt prangert in seinem Vortrag zur Pathologie der Cholera die landläufigen Wahnvorstellungen über die Seuche an : "Wer durch Nichtbeachtung der bekanntgegebenen Diätvorschriften sich selbst den Tod zuzieht, wird als Gesundheitsumsturzmann und Epidemiekrat von jedem Mitleid ausgeschlossen und im Wiederholungsfalle mit empfindlicher Geldstrafe belegt."34 Es werden groteske Rosskuren angewandt, die "im großen und Ganzen auf gutgemeinten Mord hinauslaufen"35 . Ärzte verabreichen Brechmittel, lassen zur Ader, verordnen abführende Medizin. Es wird heiß und kalt gebadet. Antimon, Wismut, Senfsaaten, Arsen, Kampfer und Chinin werden zum Schaden der Kranken angewandt. Die Familie Böcklin flüchtet am 3.10.1874 vor der Münchner Choleraepidemie nach Florenz.36

Florenz 1874 - 1885

Vom Herbst 1874 bis April 1885 arbeitet Böcklin in Florenz. Er malt fast die ganze Zeit in dem Atelierhaus des Wladimir von Swertschkoff am Lungo Mugnone. Die finanzielle Lage ist noch immer schwierig. Es versammeln sich eine Reihe von Schülern und Freunden um den Meister. Hans von Marées und Adolf von Hildebrand gehören zeitweilig seinem Kreise an. Seine Bilder werden meist zuerst in Berlin ausgestellt. Sie erregen die heftigste Kritik. Zuerst wird er allgemein verlacht, verspottet, verhöhnt. Die zweite Fassung von "Triton und Nereide" , "Klio auf Wolken thronend" oder "Gefilde der Seligen" ernten den Widerspruch selbst früherer Bewunderer. In der öffentlichen Kunstdiskussion zeigt sich genauso leidenschaftliche Parteinahme. Der Streit wird nur oberflächlich um die Bewertung der Malerei geführt. Die erregte Auseinandersetzung um seine fremde Botschaft macht den Namen des Künstlers populär. Weitreichende Erfolge stellen sich ein. Themen werden mehrfach variiert. Das Atelier Böcklins wird zur Sehenswürdigkeit. Die Kronprinzessin, der Kronprinz und spätere Kaiser Wilhelm II. machen dem Meister ihre Aufwartung. Böcklin wird Mitglied der königlichen Akademie in Berlin.

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Karikaturen von Wladimir Swertschkoff und der Schüler Viktor ZurHelle, um 1876, Bleistift, Kreide auf rosa meliertem Papier, bei Böcklins erstem Florentiner Aufenthalt gezeichnet
 
Das "Heiligtum des Herakles" wird in drei Versionen, die "Toteninsel" in fünf , die "Ruinen am Meere" in drei Versionen aufgelegt. "Abenteurer" und "Heiliger Hain", "Frühlingstag", "Odysseus und Kalypso" und "Spiel der Wellen" stammen aus dieser Zeit rascher, vielfacher Produktion. Toskanische Landschaft wird ebenso geläufig verarbeitet, wie Eindrücke vom Golf von Neapel, oder Reminiszenzen an das Badeleben in Ischia. 1877 stirbt Böcklins Tochter Beatrice in jungen Jahren in Rom. Böcklin ist Vater von 14 Kindern, von denen acht kurz nach der Geburt sterben. Immer wieder wird in seiner Malerei das Todesmotiv aufgegriffen. "Vita somnium breve", "Selbstbildnis mit dem fiedelnden Tod" und "Toteninsel", "Der Krieg", oder "Die Pest" sind wohl auch aus persönlichen Erfahrungen und nicht allein aus gründerzeitlicher Vorliebe für Endzeitstimmungen zu verstehen. Immer wieder liegen in Böcklins Leben Stationen der malerischen Entwicklung und familiäres Leid eng beeinander.
 
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Antonio Canova, 1805, Grabmal der Erzherzogin Maria Christiana in der Augustinerkirche zu Wien Details aus : Die Toteninsel, 1886, Holz, 80 x 150 cm, Museum der bildenden Künste, Leipzig
 
Die Kindergräber der Familie Böcklin sind über ganz Europa verstreut. Achtmal schreiten die Eltern hinter der verdeckten Bahre in den verschiedenen Städten. Sie trauern um Maurizio und Beatrice in Rom, um Robert und Ralph in München, um Lucia in Basel. Das bühnenartige Halbrund der Felskulisse auf der "Toteninsel" lässt an den Basler Totentanz denken, wenn wir die Initialen "A B" über dem rechten Portal entdecken. Wie für den Edelmann, den Sternenseher, den Arzt und den Domherrn soll hier für den Maler eine würdige, feste Grabstätte bereitet werden. Vorbild ist das Wandgrab, das der Begründer der Wiener graphischen Sammlung "Albertina", der Herzog Albert von Sachsen-Teschen für seine Gattin, die Tochter der Kaiserin Maria-Theresia von dem italienischen Bildhauer Canova errichten ließ. 
 

Zürich 1885 - 1892

Immer wieder werden Frauendarstellungen mit dem Element des Wassers verbunden. Die Nereiden sind niedere Meeresgöttinnen, Töchter des Nereus und der Okeanide Doris. Hesiod nennt in seiner Theogonie fünfzig der weiblichen Meereswesen beim Namen. Die Nereiden werden als unsterbliche Wesen angesehen. Sie leben im Palast ihres Vaters, tanzen auf den Wellen und reiten auf Meerestieren. Dabei tragen sie lange, glänzende Gewänder, leicht entblößt, oder  nackt. Sie sind Personifikationen des Meeres und seiner verschiedenen Eigenschaften. Neben den eigentlichen Wassergottheiten ist ihnen besonders Aphrodite verbunden. Sie treten mit Menschen, Göttern und Heroen in Beziehung,  begleiten den Hochzeitszug von Poseidon und Amphitrite. Sie folgen als Schutzgottheiten dem Argonautenzug. Sie begleiten Galateia, die ihr neckisches Spiel mit dem Kyklopen Polyphem treibt.  Bei Böcklin wirbeln sie in froher Runde, sprudelnd, schillernd, sich verführerisch räkelnd durch das feuchte Element.

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Details aus : "Das Spiel der Nereiden", 1886, 151 x 176,5 cm, Kunstmuseum Basel
Böcklins weibliche Wassergottheiten stehen in merklichem Gegensatz zu den modischen Idealen seiner Zeit. Sie stehen nicht starr und unnahbar, bewegen sich natürlich und ungezwungen. Selbstvergessen, übersprühend vor rauschhafter Lebensfreude tummeln sich die nassglänzenden Mischwesen in der gischtenden Brandung. Sie sind nicht prüde, hysterisch, neigen nicht zu Ohnmachtsanfällen. Sie sind nicht zart, blass oder eng geschnürt. Sie zeigen freizügig, was sonst schicklicherweise unter dem Dekolleté angedeutet bleiben muss. Ihre Oberflächenreize werden behutsam fingiert. Zärtlich werden sinnreich abgestimmte Farbschichten aufgetragen, um dem silbrigen Schuppenkleid der Meerjungfrauen schlüpfrigen Reiz zu verleihen. Prall gegenwärtige, animalische Körperlichkeit wird jenseits aller viktorianischen Sittenstrenge in mythologischer Verbrämung vorgeführt. In der heidnischen Götterwelt tummeln sich ungeniert makellose Frauenkörper ohne Spuren von Alter und Vergänglichkeit, während sich lüsterne Wassermänner knapp über dem Meeresspiegel anpirschen.
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Die Böcklins ziehen nach Zürich, um ihren Kindern eine gute Schulbildung zu ermöglichen. Der Vater bezieht ein Atelier in Hottingen oberhalb des Zürichsees. Er ist in der Kunstwelt einflussreich, wird international gefeiert In diese Zeit fällt die Freundschaft mit Gottfried Keller. Bereits vorher beeinflusst er Klinger und Stuck. Seit der Mitte der Achtziger Jahre beginnt er, auf die gesamte deutsche Kunstentwicklung, die "Neuidealisten", "Symbolisten" und einzelne Gruppen ausgesprochen impressionistisch gesinnter Maler einen merkbaren Einfluss auszuüben. Er ist verfeindet mit Meistern der realistisch-impressionistischen Richtung wie Menzel und Liebermann. Seit Mitte der Neunziger Jahre steigt der Kaufpreis seiner Werke um das 10-20fache, um noch vor dem Tode eine Höhe zu erreichen, die für Deutschland selten ist. Ein Tafelwerk mit Reproduktionen seiner Gemälde wird von der Photographischen Union in München in vier Folgen veröffentlicht. Otto Julius Bierbaum verfasst Texte zu 15 Heliogravüren Böcklins. Der "Kunstwart" gibt eine "Böcklinmappe" heraus. Die Reproduktionen finden weite Verbreitung. Sie rücken sein Werk in das Bewusstsein der Öffentlichkeit.

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Detail aus : "Die Freiheit", Avers zur Bundesmedaille. 1890, Bleistift, Basel, Kupferstichkabinett Detail aus : Die Freiheit (Helvetia), 1891, Holz, 96 x 96 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie

Böcklin bekommt 1890 den ehrenvollen Auftrag anlässlich des sechshundertjährigen Bestehens der Eidgenossenschaft eine "Bundesmedaille" zu entwerfen. Er zeichnet eine Vorlage, auf der die personifizierte Freiheit mit Wappenadler und Palmzweig siegreiche Stärke und paradiesische Verheissung versinnbildlicht. Wie bei den Museumsfresken beginnen die Auftraggeber, zu mäkeln. Das Relief wird für zu skizzenhaft und flach gehalten. Die Gesichtszüge der Figur der Helvetia sind zu landläufig, nicht genügend im klassisch griechischen oder römischen Sinne. Tatsächlich wird wohl eher Anstoß genommen an der phrygischen Mütze der Frauengestalt. An der Fassade des Kunstmuseums aus der Jahrhundertmitte galt sie noch als Freiheitssymbol. Jetzt wird die kegelförmige Kopfbedeckung mit dem überhängenden, ausgepolsterten Zipfel als Jakobinermütze verstanden, die an unliebsame Seiten der französischen Revolution erinnern könnte. Der Auftrag für das massenhaft seriell herzustellende Gedenkstück wird Böcklin unter Hinweis auf den Zeitdruck entzogen und einem gefälligen Pariser Graveur erteilt. Der Meister behilft sich, indem er "Die Freiheit" unter besonderer farblicher Betonung der Trikolore 1891 malt und demonstrativ in das Ausland verkauft. Der Schweizer Maler ist seinen Jugenderfahrungen mit der Revolution von 1848 treu geblieben. Den Grafen und Konsuln, dem deutschen Kaiser und seinen feudal gesinnten Anhängern scheint dieser fremde Zug an Arnold Böcklin zeitlebens verborgen zu bleiben. Der geheime Reiz seines Werkes liegt demnach in der Botschaft, die nirgends offen belehrend ausgesprochen wird, aber untergründig ihre Wirkung nicht verfehlt. 

Monogrammist G.R., Paris 1848, "Pack dich !", Illustration zu dem gleichnamigen Revolutionslied

Florenz 1892 - 1901

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Details aus : Selbstbildnis, 1893, Bleistift, Entwurf für das Gemälde "Selbstbildnis im Atelier. 
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Selbstbildnis im Atelier, 1893, Leinwand 120,5 x 80,5 cm, Kunstmuseum Basel
Am 14. 5. 1892 trifft Böcklin ein erster Schlaganfall, und Anfang Juli geht er mit seiner Frau zur Erholung an die Riviera, nach Viareggio, Forte dei Marmi und San Terenzo. Dieser Teil der Küste wird für die späteren Jahre der Lieblingsaufenthalt. Vom Golf von Spezia stammen auch viele Motive zu den späteren Küstenbildern wie der "Überfall von Seeräubern", die "Ruine am Meer" und die "Kapelle" am Meer. Anfangs 1893 bezieht er die Villa Torre Rossa in Fiesole. Von April bis November 1893 wohnt er wieder in San Terenzo und malt das Selbstbildnis der Basler Sammlung. In der zeichnerischen Vorstudie stellt Böcklin sich mit Zeichenstift und Zeichenbrett in Dreiviertelansicht nach rechts dar. Er hat die Folgen seiner schweren Erkrankung glücklich überwunden, beherrscht sichtlich wieder die Fertigkeiten der Hand. Seine Gesichtszüge sind gelassen, ohne Spuren vorangegangener Lähmungserscheinungen. In der Heimatstadt wird der unschickliche Anzug des Malers auf seinem Selbstporträt reklamiert. Die Kunstkenner nehmen Anstoß an der karierten Sommerhose, am lässig zerknautscht eingesteckten Tüchlein. Im April 1895 bezieht Böcklin eine eigene Villa am Abhang von Fiesole.. Er stirbt am 16.1.1901 in seiner Villa Bellagio in San Domenico bei Fiesole. Sein Tod wird Anlass zu großen Kundgebungen in Deutschland, der Schweiz und Italien. Obwohl er auf der Münchner polizeilichen Anmeldung als katholisch vermerkt ist, wird er auf dem protestantischen Campo santo degli Allori bei Florenz begraben. Der "Fremdenbogen" in der königlichen Münchner Polizeidirektion kann mit Farbstift abschließend signiert und aus dem laufenden Verzeichnis ausgelegt werden.


 
 
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1 Rolf Andree, Arnold Böcklin, Die Gemälde, Zürich 1977, S. 16

2 Katalog, Arnold Böcklin, Die Gemälde im Kunstmuseum Basel, Sammlungspublikation von Dorothea Christ und Christian Geelhaar, Basel 1990, S. 177

3 Katalog, Arnold Böcklin, Öffentliche Kunstsammlung Basel/Kunstmuseum, Réunion des musées nationaux/Musée d' Orsay, Paris, Bayerische Staatsgemäldesammlungen/Neue Pinakothek, München, Heidelberg 2001, S. 337

4 Verkehrsverein Basel (Hrsg.), Basel, Kleines Stadtbuch, Basel 1961, S. 7

5 Verkehrsverein, a.a.O., S. 7

6 Arnold Böcklin, Zeichnungen, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Schack-Galerie, S. 22, München 2000

7 Böcklin, Zeichnungen, a.a.O., S. 23

8 Wofgang Hütt, Die Düsseldorfer Malerschule, 1819 - 1869, Leipzig 1995, S. 118

9 Adolf Frey, Arnold Böcklin, Nach den Erinnerungen seiner Zürcher Freunde, Stuttgart 1912, S. 13

10 Frey, a.a.O., S. 14

11 Frey, a.a.O., S. 17

12 Frey, a.a.O., S. 18

13 Frey, a.a.O., S. 23

14 Katalog 2001, a.a.O., S. 338

15 Katalog 2001, S. 148

16 Karl Baedeker, Italien, Handbuch für Reisende, Zweiter Teil, Mittel-Italien und Rom, Leipzig 1899, S. IX

17 Kiple, a.a.O., S. 855

18 Böcklin, Zeichnungen, a.a.O., S. 24

19 Andree, a.a.O., S. 19

20 Adressbuch von München für das Jahr 1859, Im Auftrage der Königlichen Polizeidirektion München bearbeitet von M. Siebert, München 1860, S. 106

21 Bauer, a.a.O., S. 187

22 Reinhard Bauer, Ernst Piper, München, Die Geschichte einer Stadt, München 1993, S. 185

23 Josef Wolfsteiner, München ein Typhusheerd, München 1873, S. 38

24 Wolfsteiner, a.a.O., S. 4

25 Ludwig Hollweck, Was war wann in München, Stadtgeschichte in Jahresporträts, München 1982

26 Fremden=Bogen, Klasse III, Böcklin Arnold, Landschaftsmaler, München 1858, Stadtarchiv München

27 Böcklin, Zeichnungen, a.a.O., S. 25

28 Adressbuch von München für das Jahr 1860, Im Auftrage der Königlichen Polizeidirektion München aus amtlichen Quellen bearbeitet von M. Siebert, München 1861, S. 94

29 Kenneth F. Kiple (Hrsg.), The Cambridge world history of human disease, Cambridge 1993, S. 224

30 Anmeldung vom 14.7.1871, Stadtarchiv München

31 Kiple, a.a.O., S. 642

32 Kiple, a.a.O., S. 648

33 Elisabeth Mühlauer, Welch' ein unheimlicher Gast, Die Cholera-Epidemie 1854 in München, München 1996, S. 38

34 Mühlauer, a.a.O., S. 70

35 Kiple, a.a.O., S. 644

36 Stadtarchiv München, Anmeldung vom 14.7.1871

37 Baedeker, a.a.O., S. XI

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